Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler
wenn auch beschwingten Schritts durch das Hafenviertel von Byblos. Denn der Schreiber Seshmosis, Sohn eines Schreibers, der ebenfalls Sohn eines Schreibers gewesen war, fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben rundum glücklich. Seit seiner großen Fahrt mit der Galeere Gublas Stolz durfte er endlich ein Jahr ohne Abenteuer und Aufregungen erleben. Am nächsten Vollmond würde man ihn in die Gilde der vollkommenen und auserwählten Schreiber im Orient Byblos aufnehmen, ein Privileg, das nur wenigen Schreibkundigen zuteil wurde und höchste Anforderungen an den Kandidaten stellte. Aber die absolute Krönung von Seshmosis' Zustand der Glückseligkeit war Tani. Tani, die Schönste unter der Sonne; Tani, die Leidenschaftlichste unter dem Mond. Tani, die bezaubernde kleine Priesterin im Dienst der Göttin Seshat im »Wahren Exil-Ägyptischen Vielheiligen Vielgötter-Tempel zu Byblos«. Zugegeben, den meisten Raum dieses Vielzwecktempels beanspruchten die sogenannten »großen Götter« wie Isis, Osiris, Amun, Horus, Hathor, Anubis, und auch die »mittleren Götter« wie Apis, Methyer, Bastet, Bes, Chnum, Mafdet, Sachmet und Month machten sich ziemlich breit. Aber immerhin hatte Seshat, die »Schreiberin«, unter den »minderen Göttern« eine verhältnismäßig große Verehrungsnische in der südlichen Tempelwand, in die Tani täglich frische Opfergaben legte und vor der sie Gebete sprach. Da dieser Dienst meist schnell erledigt war, verfügte Tani über sehr viel Freizeit, was wiederum ihrer Beziehung mit Seshmosis zugute kam. Der Schreiber seinerseits musste nur einen festen Termin pro Tag einhalten, und zwar »Die Stunde des Dankes« für seinen Gott ohne Namen, GON genannt, und so konnten die frisch Verliebten viel Zeit miteinander verbringen. Gerade war Seshmosis dabei, Tani im » Wahren Exil-Ägyptischen Vielheiligen Vielgötter-Tempel« abzuholen, wobei er den Weg durch den Basar nahm.
Ein Stand mit Schreibutensilien erregte seine Aufmerksamkeit; interessiert betrachtete Seshmosis das Angebot. Da unterbrach ihn eine aufgeregte Stimme: »Verschwindet, Ihr Unglücksrabe! Ihr Sendbote des Bösen, verlasst sofort meinen Stand!«
Irritiert blickte Seshmosis auf. Und er erkannte Nefer, den Händler, der ihm einst das magische Amulett von Kreta verkauft hatte.
»Geht woanders hin! Ich verkaufe Euch nichts, Ihr Diener des Verschlingers. Weichet von mir!«
»Beruhigt Euch, Nefer! Das Amulett gehörte zu den guten Artefakten, es war nicht verflucht«, versuchte Seshmosis den Händler zu beruhigen.
»Ich habe auch nie behauptet, dass ich verfluchte Amulette verkaufen würde. Ihr seid es, der verflucht ist!«
»Aber ich landete doch im Labyrinth des Minotaurus und nicht Ihr!«
»Dafür landete ich fast in Amentet oder im Hades oder im Rachen des Verschlingers oder wer auch immer mit seiner Jenseitsvorstellung recht haben mag. Zwei sehr finstere Fremde suchten mich heim und schnitten mir fast die Kehle durch. Ich verzichte gern auf das Geschäft mit Euch und bleibe dafür am Leben!«
Die Erinnerung an die beiden stets ganz in Schwarz gekleideten kretischen Mörder Nelos und Pelos ließen Seshmosis schnell davon Abstand nehmen, sich näher für ein Bronzestück mit merkwürdigen Schriftzeichen zu interessieren. Er verspürte in seiner jetzigen Lebenssituation noch weniger als sonst das Bedürfnis nach Abenteuer. Mit einem Lächeln verabschiedete er sich von dem Händler und wünschte ihm noch ein geruhsames, langes Leben, bevor er freudig zum Arbeitsplatz seiner geliebten Tani eilte.
*
Die Götter Odin, Hönir und Loki waren wieder einmal unterwegs. Wobei Loki genau genommen nicht zu den richtigen Göttern gehörte; eigentlich wussten nicht einmal die Götter, ob Loki überhaupt zu irgendwem oder irgendetwas gehörte. Odin zog zwar gern mit dem Wolkengott Hönir und dem Listigen durch die Lande, aber von den anderen Asen und Wanen konnte keiner Loki leiden. Der Typ war einfach zu kompliziert – zum einen war er mehrfacher Vater, nämlich von Hel, dem Ursprung der Hölle, von Fenrir, dem Fenriswolf, und von der Midgardschlange. Zum anderen war er aber auch Mutter, nämlich von Sleipnir, dem achtbeinigen Ross, das er vom Hengst Swadilfari empfangen hatte.
Vor allem aber war er ein Trickster, dem man nicht trauen konnte und der ständig versuchte, Götter und Menschen, Riesen und Zwerge, Elfen und Trolle hereinzulegen. Keiner der Asen verstand, warum Odin einen solchen Narren an Loki gefressen und sogar
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