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Die Obelisken von Hegira

Die Obelisken von Hegira

Titel: Die Obelisken von Hegira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Ballons, könnte ich mir vorstellen. Mehr Texte, mehr Fortschritt, aber sie haben sich nicht darum gekümmert, ihr neues Wissen auch nutzbringend anzuwenden. Bisher jedenfalls nicht. Viele seltsame Dinge, weiter oben in den Texten.“ Sulay schloß behutsam das Buch und legte es auf einen kleinen Klapptisch. „Ich könnte mein ganzes Leben in Bibliotheken verbringen. Längst nicht so aufregend wie der Lange Marsch, eh?“
    Bar-Woten nickte. Sulays ganzes Verhalten veränderte sich beträchtlich, wenn er unter Büchern war. Bar-Woten war sich nicht sicher, ob ihm das gefiel, obwohl sich auch etwas in ihm selbst zu Büchern hingezogen fühlte. „Weniger kräftezehrend zumindest“, sagte er.
    „Diese Leute kennen uns als Soldaten, Mörder, Plünderer“, sagte Sulay. „Ganz ohne Zweifel, das sind wir zur Genüge gewesen. Aber sie werden uns nie als Gelehrte würdigen. Und doch, was wir ihnen verkünden könnten! Sie wissen sehr wenig über Hegira, aber eine Menge von den Obelisken. Ich weiß sehr wenig von den Obelisken … und ich wünschte, ich wüßte mehr. Aber …“ Er seufzte. „Meine Zeit neigt sich dem Ende zu, Bärentöter.“
    Bar-Woten respektierte das lang anhaltende Schweigen des alten Mannes. Schließlich hob Sulay den Kopf, und Tränen glitzerten auf seinen Wangen. „Nie Zeit genug. Nie genug. Der Lange Marsch ist vorbei. Sie sind keine guten Kämpfer hier in Mediwewa, aber an Zahl sind sie uns weit überlegen, und unsere Listen wirken nicht länger. Meine Audienzen beim Heiligen Pontiff verlaufen von Mal zu Mal in angespannterer Atmosphäre. Die Instinkte eines alten Soldaten warnen mich … Er wird uns zerquetschen wie eine summende Wespe. Unser Ruf reist uns voraus, sogar in die Länder, die sich abgekapselt haben. Wir sind nicht sehr umsichtig gewesen.“ Sulay blickte Bar-Woten fest ins Auge. Die Pupillen des alten Generals waren groß, aufsaugend. „Du wirst weitergehen.“
    „Nicht ohne Euch, mein General.“
    „Ohne mich, ohne deine Mitsoldaten, wie immer du auch mußt. Du wirst den Langen Marsch vollenden. Wir sind nicht ausgezogen, um zu töten und zu plündern, aber versuch einmal, das einer Armee von Ibisiern begreiflich zu machen. Die besten Soldaten, die man sich nur wünschen kann, aber …“ Sulay legte seine Hand auf das Buch. „Das ist mein Vermächtnis an dich. Wenn irgendwer überlebt, dann du. Geh jetzt oder sehr bald.“
    Bar-Woten nickte.
    „Geh und finde, was ich finden wollte.“
    „Ja, mein General.“
    „Du würdest das selbst dann tun, wenn ich es dir nicht befehlen würde, nicht wahr?“
    „Ja.“
    Sulay hob neuerlich das Buch und schlug es auf.
    „Es ist nicht sicher hier, mein General“, sagte Bar-Woten. „Sie können aus beiden Richtungen kommen und Euch in die Zange nehmen.“
    Sulay reagierte nicht.
    „Mein General?“
    Der alte Mann vollführte eine Geste mit der Hand und entließ Bar-Woten so. Der wandte sich ab und schritt zwischen den Bücherregalen davon, die Hände zu Fäusten zusammengekrampft.
     
    Der Morgen ihres neunten Tages in Madreghb brachte bewölkten Himmel und ein fahles Nieseln, das die Hauptstadt in ein Märchenland verwandelte. Die reich mit Reliefs geschmückten Mauern des Duomo und der Mittleren Sakristei fesselten Bar-Woten und blendeten Barthel, als sie allein durch die Stadt spazierten. Da er festes Ausgehzeug und eine lederne Windjacke trug – ein Privileg, das er gleichermaßen auch Barthel zugestand –, ignorierte Bar-Woten die Nässe und studierte eingehend die Architektur.
    Der Hof des gelehrten Disputs zog ihn an wie Zucker eine Ameise. Hier versammelten sich Gelehrte, Leser und Obeliskstudenten mit ihren in der Praxis tätigen Gegenstücken – Ingenieuren, Geometern und Theologen. Sie debattierten lautstark über einen schmalen Fahrdamm hinweg, der ihre Tribünen voneinander trennte, über sich einen Aquädukt, der Wasser vom südlichen Arm des Ub heranführte. Personen- und Lastwagen zischten in unregelmäßigen Abständen zwischen ihnen her. Der weiße Nieselregen bildete Perlenketten und tropfte von den schwarzen Lederumhängen der Diskutanten, worauf er sich auf den hölzernen Planken längs der Steinsitze zu Pfützen sammelte.
    Barthel war amüsiert. „Sie diskutieren die Lehren Yesu“, flüsterte er Bar-Woten hinter vorgehaltener Hand zu. Dieser nickte und hörte genauer hin. Sie standen auf einem Laufgang, der an einer Seite des Aquädukts angebracht war. Hinter ihnen rauschte das Wasser seiner Bestimmung

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