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Die Obelisken von Hegira

Die Obelisken von Hegira

Titel: Die Obelisken von Hegira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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„Er diniert gerade und unterhält Gäste. Soll ich Euch anmelden?“
    „Nein“, sagte Kiril, indem er sich vorbeidrängte und durch Vorraum und Flur stampfte. „Keine Zeit!“
    Die Familie hatte soeben das abendliche Mahl beendet und war im Begriff, sich vor einem großen Feuer in dem hohen, holzvertäfelten Wohnzimmer niederzulassen. Elena saß zu Füßen eines Mannes, der, wie Kiril augenblicklich wußte, der Prälat war. Er blieb einen oder zwei Atemzüge lang in einem breiten Durchgang stehen, während sich alle Augen auf ihn richteten und ihn musterten. Elenas Augen, das Wichtigste von allem, wurden groß, und sie verschluckte sich und hustete in ihr Weinglas.
    „Ich bin gekommen“, sagte Kiril, wohl wissend, daß er melodramatisch war, und um des Nachdrucks willen innehaltend, „mir das zu holen, was mein ist.“ Es war ein erhabener, magenaufwühlender Augenblick. Seine Achselhöhlen waren Seen. Seine Stirn war schweißglatt. Seine Rede war sicher und ohne Stocken.
    „Alfred Karl!“ fuhr der Vater den Diener an. „Wer hat diesen Mann unangemeldet hereingelassen?“
    „Ich habe mich selbst hereingelassen. Elena, komm hierher.“
    Da erkannten ihn auch ihr Vater und ihre Mutter.
    „Nichts wird mich aufhalten!“ sagte Kiril, indem er eine sehniger gewordene Hand hob. Er war geschmeidig und muskulös unter seinen dreckverkrusteten weißen Kleidern, dazu tief gebräunt, ein gänzlich anderer Schlag von Mensch verglichen mit dem bleichen, gelehrtenhaften Bürschchen, das gebuhlt und wehgeklagt hatte und dann vor über zwei Jahren verschwunden war. „Ich bin für dich durch die Hölle gegangen“, erklärte er Elena. Sie sah nicht ganz so aus, wie er sie in Erinnerung hatte. Sie war nicht ganz so strahlend. „Außerdem bin ich jetzt ein bedeutender Mann. Äußerst bedeutend.“ Ja, versicherte er sich selbst bebend. Aber würde auch nur einer ihm das glauben? Wenn seine Stimme fest genug war.
    „Kiril, ich kann jetzt nicht einfach weggehen“, sagte Elena, und ihr Gesicht wurde feucht vor Tränen. „Etwas ist passiert …“
    Er ging quer durch den Raum, über den gewebten Teppich im Mittelpunkt von Familiensesseln und Sofas, und griff nach ihrem Arm. Der Prälat gaffte und erhob sich, wobei er fast hinterrücks über den Sessel fiel, als seine Beine sich plötzlich gegen die Kante bogen. „Was macht Ihr da?“ begehrte er zu wissen. Verglichen mit Kirils, war seine Stimme ein armseliges Kläffen. Immerhin, gestand Kiril zu, in einem Versuch, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, war er nicht unhübsch, und sein Gesicht besprach in der Tat einen gewissen Mut. Er fühlte Bedauern für den Mann.
    Er beugte sich nieder und nahm Elenas Arm. Ihre großen grünen Augen waren anklagend, erschrocken und – so dachte er wenigstens – glücklich. Der große Eroberer, der nach langer Zeit heimkehrt, zu seinem Vorteil verändert und all das, spintisierte er. Er zog sie vom Boden hoch. Der Prälat langte nach ihm und schien ihn auf magische Weise zu verfehlen, als sei er ungreifbar, ein Geist. Aber er war solides Fleisch, nur halt beweglicher.
    „Ich kann nicht mitgehen!“ jammerte Elena. „Du kannst mich nicht zurückfordern!“
    „Ich kann und ich werde, und du wirst nicht widersprechen!“ Er schleifte sie durch die wild dreschenden Arme von Dienern, Eltern und Prälat hinaus in die Nacht. Sie protestierte nicht mehr viel, nachdem sie erst einmal draußen waren. Die Dampfkutsche wartete am Ende der Straße, hinter dem Tor und den hohen Tannen. Er hob sie mit seinen ruppigen Händen hoch und verstaute sie im Passagierabteil. Auf seine Anweisung hin setzte sich der Wagen in Bewegung. Auf der Straße hinter ihnen riefen Leute.
    Elena saß steif wie ein Brett in einer Ecke des Wagens und blickte ihn an, erschrocken und verängstigt. „Na, na!“ murmelte er, ohne sie anzublicken. „Ich bin doch nicht sooo lange weggewesen, jedenfalls nicht, so weit es dich betrifft.“
    „Es hieß, du seiest vor Jahren verschwunden, während ich schlief.“
    „Du hast nicht geschlafen“, sagte Kiril bestimmt.
    Plötzlich wurde sie so schlaff wie eine Puppe und begann zu schluchzen. Und nicht weniger überraschend heulte sie dann auf: „Wo bist du gewesen?“ und bedeckte seine Schultern mit etlichen schmerzenden Schlägen. „Wo in Gottes Namen bist du gewesen?“
    „Ich bin jetzt ein Mann mit Bestimmung“, sagte Kiril. Aber zu Zeiten fühlte er sich immer noch wie ein kleiner Junge. Seine Sicherheit

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