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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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ihm getrennt, und vorbeiging und weg war.
    An der Bar trank er einen doppelten Whiskey. Dann noch einen. Dann ging er hinaus in die Stadt. Er überquerte die Piazza Trieste e Trento, kam in die offene beleuchtete Weite der Piazza Plebiscito und lief durch die Via Chiaia hinunter Richtung Hotel. An der Ampel des Lungomare hielt er nicht an, sondern teilte den Strom der Autos. Ein Jogger überrannte ihnfast. Er kletterte über die Kaimauer, stieg hinab und lief über die großen Bruchsteine zum Meer. Wo die Wellen an die Steine schlugen, dort setzte er sich hin und betrachtete die große, vor ihm daliegende Dunkelheit, die mit der Dunkelheit des Himmels zu verschwimmen schien. Es war nicht zu begreifen, das dachte er. Nichts ist zu begreifen. Die Erinnerungen, die materielosen, im Kopf entstehenden Traumbilder und Fiktionen erschienen ihm plötzlich greifbarer und gehaltvoller als die Materie selbst. Was sind wir aber anderes als Materie, dachte er. Materie mit Gefühl. Mit einem Gefühl, dem jedoch nicht zu trauen ist. Denn was war dieses Gefühl, dieses sein großartiges Musikgefühl, das er beim Konzert gehabt hatte, wert? Was ist ein Gefühl wert, wenn es sich als falsch, als schlecht, als übertrieben, als lächerlich herausstellt? Ist es dann noch ein Gefühl oder nur ein Irrtum?
    Er warf eine glühende Zigarettenkippe ins Meer. Er dachte an Betty, an die Betty, die er heute getroffen hatte und die jetzt fremd und neu zwischen den übrigen Bettyfiguren in der Vitrine seiner Erinnerung herumstand. Wie schnell sie sich füllte, die Vitrine der Erinnerung. Wie schnell die Gegenstände aus der Zukunft in die Erinnerung wandern, und wenn sie voll ist, dachte er, stirbt man.

HOTEL MARINA 2
    Der Morgen war schon lang, als sie auf der Piazza Trieste e Trento aufeinander zugingen, Tom aus der Richtung des Ufers, Betty von der Via Toledo kommend, fünf Minuten vor der Zeit, obwohl beide einen kleinen Umweg um die Piazza gemacht,das in der Zukunft liegende Zusammentreffen durch diesen kleinen Umweg um den Ort ihres Treffens gewissermaßen eingekreist hatten, wie man mit einem Stift eine besonders wichtige oder auch fragwürdige Passage in einem Text einkreist, und sie hatten sich beide gleichzeitig in der Menschenmenge entdeckt, so wie sie auch genau gleichzeitig an der Piazza Trieste e Trento angekommen waren. Sie gingen aufeinander zu, verloren sich aber über die Dauer des Aufeinanderzugehens manchmal aus den Augen, da ihnen Passanten in den Weg kamen, tauchten dann wieder hinter den sich ständig verschiebenden Fluchten der bewegten Menschenmenge plötzlich auf und blieben gleichzeitig stehen. Eine Distanz von etwa fünf Metern erstreckte sich zwischen ihnen und wurde von Passanten, die nicht wussten, dass hier zwei Menschen über eine Entfernung von fünf Metern und zehn Jahren zusammengehörten, öfter gekreuzt und durchschnitten. Hinten, auf der hellen Weite der Piazza Plebiscito, bewegten sich mehrere Hochzeitspaare. Die Bräute schwebten in ihren riesigen dreieckigen Kleidern über den weißen Platz. Darüber die strenge Bläue des Himmels.
    »Du bist zu früh«, sagte Betty und nahm ihre Sonnenbrille ab.
    »Du auch«, sagte Tom.
    »Hast du schon Kaffee getrunken?«
    Als sie nebeneinander über den Platz gingen, über die helle Fläche, die wie ein ovaler Spiegel das Sonnenlicht zu sammeln schien, hatte Tom plötzlich das Gefühl, ins Offene zu gehen, in eine große und leichte Klarheit, wie sie nach einem langen Winter morgens über dem Land ist. Auf einem hohen Balkon zu stehen, der sich plötzlich als Segelboot herausstellt und ablegt. Es erschien ihm plötzlich normal und folgerichtig, dass sie nebeneinanderüber diesen Platz gingen. Und es erschien ihm, ohne dass er es sich bewusst gemacht hätte, der vor ihm liegende Tag nicht als eine lineare Strecke, nicht wie eine auf etwas zuführende und dann endende Straße, sondern als ein in sich bewegtes, abgeschlossenes Oval.
    »Was machen denn die ganzen Brautpaare hier?«, fragte Tom, als sie an der langgestreckten rostroten Fassade des Palazzo Reale vorübergingen.
    »Sie lassen sich fotografieren«, sagte Betty.
    »Und du? Hast du dich auch fotografieren lassen?«, fragte er, ohne sie anzusehen.
    Sie lachte. »Nein.«
    Sie gingen durch das Weiß der Brautpaare, vorbei an den großen Parabolspiegeln der Fotografen, die die ohnehin gebündelte Helligkeit des Platzes noch mehr verdichteten, in Richtung der Meerseite, von wo aus der Hafen, der Halbmond des Golfes

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