Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
persönlich kennengelernt; der angeblich von Bergoglio Verratene habe ihm gegenüber »solche Vorwürfe nie geäußert«.
Der andere, ein gebürtiger Ungar, lebt jetzt, 85-jährig, in Deutschland und gibt zu Protokoll, er habe mit Bergoglio, als dieser Erzbischof geworden war, die Vorfälle besprochen; sie hätten »gemeinsam öffentlich Messe gefeiert, und wir haben uns feierlich umarmt. Ich bin mit den Geschehnissen versöhnt und betrachte sie meinerseits als abgeschlossen.«
Auch der argentinische Menschenrechtler Adolfo Pérez Esquivel, der selbst gefoltert worden ist und für seinen friedlichen Kampf gegen die Junta 1980 den Friedensnobelpreis bekommen hat, nimmt Bergoglio in Schutz. Vielleicht habe dieser »nicht den Mut besessen, den andere Priester gehabt haben«. Aber er habe »niemals der Diktatur zugearbeitet, er war kein Komplize«.
Erstaunlicherweise ist der Vatikankritiker Leonardo Boff, der 1985 von der Kurie mit einem Rede- und Lehrverbot belegt wurde und 1992 sein Priesteramt aufgab, geradezu euphorisch davon überzeugt, dass in der katholischen Kirche mit dem neuen Papst ein Reformzeitalter anbricht. »Sie werden sich noch wundern, was Franziskus ausrichtet.« Zulassung von Verhütungsmitteln, Aufhebung des Zölibats, mehr Rechte für Frauen in der Kirche – »das kann sich jetzt ändern«, glaubt Boff. Schnee im August?
Vor allem, sagt Boff, müsse Franziskus »die Kirche dezentralisieren, den Vertretern der einzelnen Kontinente und Staaten mehr Entscheidungsbefugnisse gewähren«, denn viele Probleme würden »hinter den Vatikanmauern gar nicht wahrgenommen«.
Allerdings muss das Verhältnis der römischen Kirchenzentrale zu den Ortskirchen, den knapp 2600 Bistümern in aller Welt, dringend neu geordnet werden. »Wer, wie der neue Papst bei seinen ersten Worten, von Brüderlichkeit redet, wird durch seine Taten beweisen müssen, ob er es ernst meint mit dem Zutrauen in die Verantwortung der Kirchen vor Ort«, schrieb der Münsteraner Theologe und Kirchenrechtler Thomas Schüller auf SPIEGEL ONLINE.
Die Frage ist, wie absolutistisch der Papst heute regieren kann. Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann beklagt, dass »das Recht auf Mitbestimmung bei den Bischofsernennungen mit Füßen getreten« worden sei.
Der römische Zentralismus, der alles regelt und alle bevormundet, ist überholt. Eine erneuerte Kirche sollte mehr Verantwortung delegieren. Damit die Ordensschwester im HIV -Krankenhaus in Afrika entscheidet, ob sie Kondome verteilt oder die Pille danach – und nicht der weltfremde Prälat im fernen Rom.
Johannes Paul II . und Benedikt XVI . haben den Primat des Papstes weiter ausgebaut, weil sie glaubten, das Zweite Vatikanische Konzil habe zentrifugale Kräfte entwickelt, die sie um die Einheit der Kirche fürchten ließen. Sie haben vornehmlich Kardinäle ernannt, die auf ihrer theologischen Linie lagen; von den 115 Purpurträgern, die 2013 ins Konklave zogen, waren 48 von Johannes Paul und 67 von Benedikt berufen worden.
Eine spektakuläre Kehrtwende in den moraltheologischen Streitfragen ist wohl auch von Franziskus nicht zu erwarten. Aber indem er sich immer wieder als einer unter Gleichen darstellt, wenn er von seinen Brüdern, den Kardinälen, spricht, ist er eventuell geneigt, den päpstlichen Primat weniger zu betonen – was eine Öffnung zu anderen christlichen Kirchen erleichtern würde. Und auch sein Blick auf den Zölibat könnte ein anderer sein: In Lateinamerika ist der Priestermangel noch viel eklatanter als in Europa.
Mit seiner demonstrativen Schlichtheit hat der neue Papst in seinen ersten Amtstagen viel Begeisterung geweckt. Jetzt aber kommt es nicht auf Gesten an, sondern aufs Handeln.
In den Gesprächen vor dem Konklave, den »Generalkongregationen«, hatte Bergoglio ziemlich unverblümt angesagt, was jetzt in der Kirche zu tun sei. Da sahen sich die Kardinäle bestätigt, die ihn schon vor acht Jahren gern als Papst gesehen hätten.
Dass Franziskus bereits 76 Jahre alt ist, nur zwei Jahre jünger als Ratzinger bei seiner Wahl 2005, sei im Konklave offen angesprochen worden, heißt es. »Das war wirklich eine Frage für die Kardinäle, nachdem ein Papst aus Gründen des Alters und fehlender Kraft zurückgetreten ist«, sagte Erzbischof Jean-Pierre Ricard aus Bordeaux. Man habe diskutiert, ob man nicht einen jüngeren Papst wählen solle. Die Kardinäle hätten sich aber an die Geschichte erinnert »und an Päpste wie Johannes XXIII ., die im hohen Alter gewählt
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