Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
erklären, man glaube an etwas, woran man nicht glauben kann«. Auf Voltaires Landgut bei Genf steht eine Kapelle mit der bitterbös galanten Inschrift von Gleich zu Gleich: »Deo erexit Voltaire, 1761« – »Voltaire baute dies für Gott«.
Das war noch ein eher zahmer Witz. Graf Mirabeau, Vordenker freiheitlichen Geistes, hatte 1783 ein Büchlein über die sexuellen Ausschweifungen im Altertum erscheinen lassen, das sofort konfisziert wurde – wegen Unzucht, nicht weil frech auf dem Titelblatt stand: »Rom, Druckerei des Vatikans«. Revolutionäre wie er sahen im römischen Ritus nur noch ein historisches Relikt. Als 1798 napoleonische Truppen den Kirchenstaat besetzten und Papst Pius VI . bald darauf nach vielen Demütigungen in Frankreich starb, hielt sich die öffentliche Bestürzung in Grenzen. Der Katholizismus schien erledigt.
»Das alte Papsttum liegt im Grabe, und Rom ist zum zweiten Mal eine Ruine geworden«, notierte der 27-jährige Bergbauingenieur Friedrich von Hardenberg, der sich als Poet Novalis nannte. Gerade das aber, schloss er in kühner Volte, spreche dafür, »Die Christenheit oder Europa« – so der Titel des Essays – werde sich, wenn überhaupt, nur auf religiöser Basis erneuern, vielleicht »aus dem heiligen Schoße eines ehrwürdigen europäischen Konziliums«. Vernunfttrunkene Aufklärung und revolutionärer Furor, bilanzierte Novalis, hätten bloß einen Glauben hervorgebracht, »der aus lauter Wissen zusammengeklebt« sei, und so »die unendliche schöpferische Musik des Weltalls zum einförmigen Klappern einer ungeheuren Mühle« entzaubert.
Etliche junge Intellektuelle begannen in den folgenden chaotischen Kriegsjahren ähnlich zu denken. Aufgerüttelt vom Unheil der Zeit, suchten sie Halt in Transzendenz und Ritus. Verblüffend viele der enttäuschten Rationalisten hofften auf den neuen Papst Pius VII ., der, oh Wunder, schon 1800 wieder in Rom regieren konnte und sich auch später vor Napoleons Übergriffen nicht duckte.
Als der Wiener Kongress die alte Staatsordnung restaurierte, frohlockten viele dieser romantisch-konservativen Visionäre. Doch die christliche Einung Europas blieb aus. Stattdessen klapperten immer rascher und lauter die Mühlen der Industrialisierung – während dem römischen Katholizismus im Tumult nationalen und imperialen Fortschrittseifers fast nur noch kraftlos-reaktionär wirkende Gesten übrig blieben.
Papst-Porträts dieser Zeit wirken melancholisch, mild und müde. Selbst wenn ein Lächeln erscheint, die Substanz wirkt angegriffen. Pius IX ., erst für seine Liberalität bejubelt, dann von Nationalisten als Vaterlandsfeind verfemt, musste für anderthalb Jahre in die Hafenstadt Gaëta fliehen und sogar Attentatsversuchen trotzen. Nur wenige Wochen nach seiner Verkündung des Dogmas der Unfehlbarkeit – das viel Häme auslöste, aber auch zur Abspaltung der Altkatholiken führte – besetzte das geeinte Italien im September 1870 den Kirchenstaat. Die skeptische Ansicht vieler Mitteleuropäer über Rom spiegelte sich damals in Richard Wagners »Tannhäuser«, dessen bußwilliger Titelheld den mächtigen Herrn des Vatikans nur als beinharten Verkünder ewiger Höllenqualen erlebt.
Konnte es mit dem Image noch weiter abwärts gehen? Offenbar schon, wie sich im 20. Jahrhundert erwiesen hat. Rolf Hochhuths Skandalstück »Der Stellvertreter« von 1963 verarbeitete Dokumente zur direkten Anklage: Papst Pius XII ., der Deutschland aus seiner Zeit als Nuntius gut kannte, sei durch sein Schweigen gegen das NS -Regime moralisch mitverantwortlich für den millionenfachen Judenmord. Dass der Vorwurf offenkundig bis heute am vatikanischen Gewissen nagt, mag ein Grund sein für mehrere Selig- oder Heiligsprechungen von Priestern und Gläubigen, die sich in Lagern für Mithäftlinge opferten.
Gegen fatale Hypotheken dieser Art wirken Indiskretionen, wie sie unlängst aus dem engsten Umfeld Benedikts XVI . an die Öffentlichkeit drangen, wie Musterfälle aus dem Lehrbuch absoluter Macht: Bei Hof waren von jeher Scheu und Geheimniskrämerei die Regel, samt Eifersucht, Tuscheleien und gelegentlich einem deftigen Skandal.
Durchschnittliche Zeitungsleser und Fernsehzuschauer erfahren demgemäß vom geistlichen Oberhaupt der Katholiken inzwischen ganz ähnliche Dinge wie von anderen Monarchen, die Auslandsbesuche machen, sorgsam präparierte Thronreden halten und zwischendrin unartige Angehörige – im Falle Roms renitente oder als peinlich verschriene
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