Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
beruht auf der Nachfolge des Apostels Petrus. Er soll hier in Rom gewesen sein. Aber eindeutig belegt ist das offenbar nicht, ebenso wenig wie seine Tätigkeit und sein Todesdatum. Was wissen wir überhaupt?
BRANDMÜLLER: Kaum einer der Fachleute stellt in Frage, dass Petrus in Rom war, dass er hier umkam und begraben wurde. Ein Bonner Altphilologe hat zwar kürzlich widersprochen, aber kaum einen Kollegen überzeugt. Biblischer und historischer Befund ergänzen sich gut. Die Angaben über das Jahr des Märtyrertodes schwanken allerdings, wie auch die Datierung der Christenverfolgungen Kaiser Neros, zwischen 64 und 67.
SPIEGEL: Der Ort des Grabs scheint ebenfalls unsicher. Immerhin haben die Archäologen unter der Peterskirche einen ganzen Friedhof gefunden. Für wie authentisch darf man die Reste halten?
BRANDMÜLLER: Um das Jahr 165 erwähnt der Presbyter Gaius ein kleines Grabdenkmal für Petrus beim Vatikan, und genau so etwas wurde ausgegraben. Ob die Gebeine eines 60 bis 70 Jahre alten Mannes, die man dort in einer Nische gefunden hat, zu Petrus gehören, lässt sich nicht beweisen, aber auch nicht widerlegen. Immerhin hat man dabei Purpur- und Goldfäden gefunden: Es war also nicht irgendein Toter, den man hier bestattete.
WALTER BRANDMÜLLER
Lehrte von 1970 bis 1997 Kirchengeschichte an der Universität Augsburg. Anschließend wirkte der 1953 zum Priester geweihte Theologe im Range eines Apostolischen Protonotars als Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaft in Rom. 2010 erhielt er die Kardinalswürde. Brandmüller, Jahrgang 1929, ist Experte für Konziliengeschichte und gilt inoffiziell als Chefhistoriker des Vatikans. Er lebt als einer von etwa 560 Bürgern des Kirchenstaats im Palazzo della Canonica.
SPIEGEL: Die Autorität dieses unscheinbaren Monuments – wenn es denn das richtige ist – war gewaltig: Als Nachfolger des Petrus beanspruchten die Bischöfe Roms den Primat, die Oberhoheit innerhalb der Kirche. Zwar kennt man die Reihenfolge nicht sicher, aber einer von ihnen namens Clemens soll einen Brief an die Korinther verfasst haben. Daraus leiten manche Deuter den Anspruch auf Roms Vorrangstellung ab – kurz vor dem Jahr 100 …
BRANDMÜLLER: Moment. Es ist da von Christenverfolgungen die Rede, und lange meinte man, das beziehe sich auf die Regierung von Kaiser Domitian. Inzwischen jedoch sind die Fachleute so gut wie einig, dass Christen unter Domitian nur in wenigen Einzelfällen verfolgt wurden. Clemens spricht aber von »unserer Generation« – was nur auf die neronische Zeit passt.
SPIEGEL: Mit anderen Worten: Clemens hat den Brief deutlich früher geschrieben?
BRANDMÜLLER: In der Tat.
SPIEGEL: Aber war er nicht gebeten worden, einen Zwist zu schlichten?
BRANDMÜLLER: Das ist möglich, aber es ist ebenso möglich, dass Clemens aus eigenem Antrieb handelte. Er schickt jedenfalls im Namen der römischen Gemeinde eine Delegation, die für Ordnung sorgen soll, und verfügt: Die Unruhestifter müssen Korinth verlassen. Das ist in liebevoll-seelsorgerischem Ton formuliert, lässt aber kaum einen Zweifel an der Entschiedenheit dieser Weisung zu. Clemens’ Verfügung wurde in Korinth aufgenommen wie ein Apostelwort, das ist bezeugt.
SPIEGEL: Ein erster klarer Fall römischen Hoheitshandelns, wenn man Ihrer Argumentation folgt.
BRANDMÜLLER: Man kann sie ausbauen: Zur Zeit Neros lebt ja viel näher, in Ephesus, noch der letzte der Apostel, Johannes. Warum greift nicht er ein, sondern der römische Bischof? Weil die Petrusnachfolge prägend wirkte – wie ja Petrus im Neuen Testament immer der erste unter den Aposteln ist.
SPIEGEL: So einleuchtend Sie es darstellen: Seines Anspruchs gewiss sein konnte Roms Bischof damals noch keineswegs, weder kirchlich noch gar weltlich. Hätte in dieser frühen Zeit nicht auch eine dezentrale Organisation der Kirche entstehen können? Mächtige Patriarchalprovinzen zum Beispiel, wie bis heute in der Ostkirche?
BRANDMÜLLER: Sogar ein prominenter Theologe hat in einer Diskussion mit dem heutigen Papst plausibel zu machen versucht, die frühe Christenheit sei ein Zusammenschluss von Ortsgemeinden gewesen. Aber das war sie eben nicht. Die Patriarchate sind eine Erscheinung des 6. Jahrhunderts, sie haben kein biblisches Fundament, sondern ergeben sich aus der Struktur des Römischen Reiches. Das Christentum entstand aber in Jerusalem, und Jesus hat nur eine Kirche gegründet. So steht es im Neuen Testament, und ich kann als
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