Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
steht: Den Päpsten reichte es nicht, Fachleute fürs Seelenheil zu sein. Bonifaz VIII . erklärte 1303, der Papst setze Regenten ein und ab, ihm stehe die ganze »Fülle der Macht« zu – und ausgerechnet er wurde kurz darauf in seiner Vaterstadt Anagni von französischen Häschern tagelang gefangen gehalten.
BRANDMÜLLER: Sie meinen die berühmte Bulle »Unam Sanctam« – darüber sind Ströme von Tinte vergossen worden. Nur so viel: Kein Papst hat je »Weltherrschaft« beansprucht. Aber klar war, dass auch Kaiser und Könige als Christen Glieder der Kirche sind, deren oberster Hirte der Papst ist.
SPIEGEL: Die Realität sah aber sogar für vehement Papsttreue oft sehr verworren aus. Belegten nicht schon die vielen Gegenpäpste, wie wenig Rom sich aus weltlichen Konflikten herauszuhalten wusste?
BRANDMÜLLER: Das Auftreten von Gegenpäpsten hatte fast immer innerkirchliche Ursachen; in einigen Fällen haben Kaiser »ihren« Gegenpapst durchzusetzen versucht. Die Form der Sukzession auf dem Stuhl Petri ist ursprünglich nicht festgelegt. Im Neuen Testament und in den frühen Kirchenschriften findet sich keine Wahlordnung für einen Papst; er braucht noch nicht einmal gewählt zu werden. Dementsprechend vielfältig ist das Bild: In frühen Zeiten wählen Volk und Klerus von Rom das bischöfliche Stadtoberhaupt. Dagegen verlangt Kaiser Heinrich III . 1046 in Sutri, dass anstelle dreier zweifelhaft legitimer Päpste Bischof Suitger von Bamberg gewählt wird – mit Erfolg.
SPIEGEL: Ein klarer Eingriff von weltlicher Seite. Und was muss man von 1378 halten, als nahezu dieselben Kardinäle im April Urban VI ., dann im September Clemens VII . zum Papst erhoben?
BRANDMÜLLER: Das habe ich einmal genauer untersucht. Es wurde damals von Kirchenrechtlern die Auffassung vertreten, die Kardinäle, die den Papst gewählt hatten, könnten ihm seine Amtsvollmacht auch wieder entziehen. Als die mit Urban VI . unzufriedenen Kardinäle von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollten, zeigte sich, dass dies öffentlich schwer zu vermitteln war. Deshalb erklärte man, die erste Wahl sei nur durch Zwang und Einschüchterung zustande gekommen.
SPIEGEL: Fatale weltliche Kommunikationsprobleme! Immerhin regierten seither zwei, seit 1409 sogar drei Päpste, bis das Konzil von Konstanz 1417 mit der Wahl Martins V . dem Spuk ein Ende machte. Dabei betraf er nur die Person, nicht das Amt selbst. Echte Ketzer stellten Roms geistliche Herrschaft als solche in Frage. War der Kampf gegen diese Fundamental-Opposition nicht ein willkommener Stabilisierungsfaktor für das Papsttum?
BRANDMÜLLER: Die Katharer, von denen alle sogenannten Ketzer ihren Namen haben, waren tatsächlich Häretiker. Aber der Feldzug gegen sie nutzte in erster Linie der französischen Krone, die gegen die Grafen von Toulouse vorgehen wollte.
SPIEGEL: Soll das heißen, die Kirche war ganz unschuldig an dem Blutvergießen? Dann sind später die Brutalitäten der Inquisition wohl auch nur weltliche Pannen?
BRANDMÜLLER: Das Verhältnis der Kirche zu Häretikern hat sich im Laufe der Zeit sehr gewandelt. Noch in der Spätantike gab es lebhafte kirchliche Proteste gegen staatliche Häretikerverfolgungen. Im ganzen ersten Jahrtausend weiß ich von keiner gewaltsamen Aktion dieser Art. Man zitierte die Abweichler vor Synoden, diskutierte und entwarf bisweilen ein Widerrufsformular, so Mitte des 11. Jahrhunderts für Berengar von Tours. Gregor VII . hat allen, die Berengar etwas Böses tun würden, schwere Gegenmaßnahmen angedroht.
SPIEGEL: Warum änderte die Kirche dann ihre Haltung?
BRANDMÜLLER: Weil seit dem 12. Jahrhundert Häresien als Massenbewegungen auftraten. Es waren zuerst die weltlichen Mächte, die hart dagegen vorgingen. Die Todesstrafe hat der Stauferkaiser Friedrich II. eingeführt, gegen lebhaften Protest der Kirche.
SPIEGEL: In der Praxis sah es so aus: Nach dem kirchlichen Verfahren wurden die Delinquenten der weltlichen Justiz übergeben, die dann kurzen Prozess machen konnte.
BRANDMÜLLER: Eine bittere Geschichte, gewiss – aber nach mittelalterlichem Denken handelte es sich um Gruppierungen, die die Fundamente des Zusammenlebens in Frage stellten. Der Kirchenhistoriker Ignaz von Döllinger hat schon im 19. Jahrhundert gesagt: Häretiker waren die Anarchisten des Mittelalters. Wenn zum Beispiel die Albigenser Ehe, Eid und Sakramente verwarfen, wirkten sie im Gefüge der Feudalgesellschaft wie Bombenleger. Noch Bernhard von Clairvaux
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