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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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klopfte zur Bekräftigung seiner Worte mit der Hand auf den Einband des Buches. »So steht es geschrieben. Eine
     solche Medizin ist gottlos!«
    Hrotrud wurde von wildem Zorn gepackt. An
ihrer
Medizin gab es nichts Gottloses. Sprach sie nicht jedesmal, wenn sie eine Pflanze aus der Erde zog, neun Vaterunser? Aber
     sie hatte nicht die Absicht, ein Streitgespräch mit dem Dorfpriester zu |11| führen. Er war ein einflußreicher Mann. Ein Wort von ihm über ihre ›gottlosen‹ Praktiken, und sie mußte ihren Beruf aufgeben
     und betteln gehen.
    Gudrun stöhnte, als eine neuerliche Schmerzwoge sie durchflutete.
Also gut
, dachte Hrotrud. Wenn der Dorfpriester ihr die Benutzung des Bilsenkrauts nicht erlaubte, mußte sie eben etwas anderes versuchen.
     Sie ging zu ihrem Beutel und nahm ein langes Stück Stoff heraus, das so zurechtgeschnitten war, daß es der wahren Körpergröße
     Jesu Christi entsprach. Mit raschen, geschickten Bewegungen band Hrotrud das Tuch um Gudruns Unterleib. Als sie Gudrun dabei
     auf die Seite drehte, stöhnte die Schwangere erneut. Jede Bewegung bereitete ihr Schmerzen; aber dagegen konnte man nun mal
     nichts tun. Hrotrud nahm ein Päckchen aus ihrem Beutel, das zum Schutz gegen Beschädigungen sorgfältig in ein Stück Seide
     eingewickelt war. Im Innern des Päckchens befand sich eine von Hrotruds Kostbarkeiten – das Sprungbein eines Kaninchens, das
     an Weihnachten getötet worden war. Sie hatte es sich letzten Winter von einer der Jagdgesellschaften des Kaisers erbettelt.
     Mit äußerster Sorgfalt schabte Hrotrud drei hauchdünne Stückchen ab und legte sie der Schwangeren auf die Zunge.
    »Kaue ganz langsam«, wies sie Gudrun an, die mit einem schwachen Kopfnicken reagierte. Hrotrud setzte sich zurück und wartete.
     Aus dem Augenwinkel beobachtete sie den Dorfpriester, der weiterhin in dem Buch las, die Stirn in tiefer Konzentration gefurcht,
     so daß seine buschigen Augenbrauen sich über der Nasenwurzel beinahe berührten.
    Wieder stöhnte Gudrun und wand sich vor Schmerzen, doch der Dorfpriester blickte nicht einmal auf.
Er ist ein kalter Mann
, ging es Hrotrud durch den Kopf.
Trotzdem muß er Feuer in den Lenden haben, sonst hätte er Gudrun nicht zur Frau genommen.
    Wie lange war es jetzt her, daß der Dorfpriester diese sächsische Frau mit nach Ingelheim gebracht hatte? Zehn Winter? Elf?
     Nach fränkischen Maßstäben war Gudrun schon damals nicht mehr jung gewesen – sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig vielleicht
     –; aber wunderschön mit ihrem langen, weißgoldenen Haar und den blauen Augen der
alienigenae
. Gudrun hatte ihre ganze Familie bei dem Massaker in Verden an der Aller verloren. Tausende von Sachsen waren an jenem Tag
     lieber gestorben, als die Wahrheit Unseres Herrn Jesus |12| Christus als ihren Glauben anzunehmen.
Verrückte Barbaren
, dachte Hrotrud.
Das wäre mir nicht passiert.
Sie hätte auf alles geschworen, auf das zu schwören man von ihr verlangt hätte – und so würde sie es auch heute noch halten,
     sollten die Barbaren jemals wieder über das Frankenreich hinwegfegen. Sie würde auf sämtliche fremden und schrecklichen Götter
     schwören, die von diesen Schlächtern angebetet wurden. Was machte das schon aus? Wer wußte denn, was im Innern eines Menschen
wirklich
vor sich ging? Eine Hebamme und Kräuterfrau behielt nicht nur ihre Geheimnisse, sondern auch ihre Meinung für sich.
    Das Feuer war inzwischen heruntergebrannt. Es flackerte und sprühte Funken. Hrotrud ging zum Holzstapel, der in einer Zimmerecke
     stand, suchte zwei große Scheite Birkenholz heraus und legte sie auf den Herd. Sie beobachtete, wie die Scheite prasselnd
     Feuer fingen und die Flammen um das Holz herum in die Höhe leckten. Dann begab Hrotrud sich wieder zu Gudrun, um nach der
     Schwangeren zu sehen.
    Es war eine gute halbe Stunde vergangen, seit Gudrun die abgemeißelten Stückchen vom Kaninchenknochen zu sich genommen hatte,
     doch ihr Zustand war unverändert. Selbst diese starke Medizin hatte nicht gewirkt. Die Schmerzen blieben, unberechenbar und
     hartnäckig, und Gudrun wurde immer schwächer.
    Hrotrud seufzte müde. Offensichtlich mußte sie zu stärkeren Mitteln greifen.
     
    Der Dorfpriester lehnte brüsk ab, als Hrotrud ihm erklärte, daß sie bei der Geburt seine Hilfe bräuchte.
    »Laß die Frauen aus dem Dorf holen«, sagte er gebieterisch.
    »Äh … das ist unmöglich, Herr. Wer sollte die Frauen holen?« Hrotrud hob die Hände, um ihre Worte zu

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