Die Päpstin
hochgewachsenen, anmutigen Menschen von Gudruns Volk. Doch das |19| Kind hatte gute Augen, groß und ausdrucksvoll und von kräftiger Farbe: grün, mit dunkelgrauen Rauchringen im Zentrum der Pupillen.
Zärtlich nahm Gudrun eine Strähne von Johannas Haar zwischen die Finger und betrachtete es, erfreute sich an seinem Schimmer
– weißgolden, sogar in der Dunkelheit.
Mein Haar
, dachte sie stolz. Nicht das dicke schwarze Haar ihres Mannes oder das seines grausamen dunklen Inselvolkes.
Mein Kind
. Sanft wickelte sie Johannas Haarsträhne um den Zeigefinger und lächelte.
Wenigstens dieses Kind ist meins.
Durch die Aufmerksamkeiten ihrer Mutter beruhigt, entspannte sich Johanna. In spielerischer Nachahmung zupfte sie an Gudruns
langem Zopf, bis er sich löste und die Fülle des weißblonden Haares ihr über die Schultern fiel. Staunend betrachtete Johanna
die schimmernde Pracht, die sich wie flüssiges Gold auf der Tagesdecke aus dunkler Wolle ausbreitete. Noch nie hatte Johanna
das Haar ihrer Mutter offen gesehen. Der Vater bestand darauf, daß sie es stets sorgfältig geflochten trug, verborgen unter
einer Kappe aus grobem Leinen. Das Haar einer Frau, sagte der Dorfpriester, ist das Netz, in dem der Teufel die Seele eines
Mannes fängt. Und Gudruns Haar war außergewöhnlich schön – lang und weich und von makelloser, weißgoldener Farbe, ohne jeden
Hauch von Grau, obwohl sie nun schon eine alte Frau war, die vierzig Winter erlebt hatte.
»Warum sind Matthias und Johannes fortgegangen?« fragte Johanna unvermittelt. Ihre Mutter hatte es ihr schon mehrere Male
gesagt; doch Johanna wollte es noch einmal hören.
»Du weißt warum. Dein Vater hat sie auf seine Missionsreise mitgenommen.«
»Warum durfte ich nicht auch mitgehen?«
Gudrun seufzte geduldig. Das Kind war so wißbegierig, so voller Fragen. »Matthias und Johannes sind Jungen«, sagte sie. »Eines
Tages werden sie Priester sein, genau wie dein Vater. Du bist ein Mädchen; deshalb hast du mit solchen Dingen nichts zu tun.«
Als Gudrun erkannte, daß Johanna mit dieser Antwort nicht zufrieden war, fügte sie hinzu: »Außerdem bist du noch viel zu jung.«
Johanna rief entrüstet: »Im Wintarmanoth war ich schon vier!«
Gudruns Augen blitzten vor Erheiterung, als sie in das rundliche Kleinmädchengesicht blickte. »Ach ja, das hatte ich |20| ganz vergessen. Du bist ja schon ein großes Mädchen. Vier Jahre! Das hört sich schon sehr erwachsen an.«
Johanna lag still da, als die Mutter ihr übers Haar streichelte. Dann fragte sie: »Was sind eigentlich Heiden?« Ihr Vater
und ihre Brüder hatten sich vor ihrer Abreise ziemlich ausgiebig über ›Heiden‹ unterhalten. Johanna verstand nicht genau,
was ein Heide war; sie hatte allerdings genug aufgeschnappt, um zu wissen, daß es etwas sehr Schlimmes sein mußte.
Gudruns Körper spannte sich an. Dieses Wort besaß Zauberkräfte. Die einmarschierenden Soldaten hatten es im Munde geführt,
als sie Gudruns Zuhause geplündert und ihre Freunde und Familienangehörigen abgeschlachtet hatten. Die dunklen, grausamen
Soldaten des fränkischen Kaisers Karl. ›Magnus‹, nannten die Leute ihn nun, da er tot war. ›Carolus Magnus.‹ Karl der Große.
Würden die Menschen ihn immer noch so nennen, fragte sich Gudrun, wenn sie miterlebt hätten, wie seine Soldaten sächsischen
Müttern die Säuglinge aus den Armen gerissen, sie herumgeschleudert und ihre Köpfe an Steinen zerschmettert hatten, die schon
rot vom Blut anderer unschuldiger Kinder waren? Gudrun zog die Hand von Johanna fort und drehte sich auf den Rücken.
»Was ein Heide ist, mußt du deinen Vater fragen«, sagte sie.
Johanna wußte nicht, was sie falsch gemacht hatte, doch sie hörte die seltsame Härte in der Stimme ihrer Mutter und erkannte,
daß sie ins eigene Bett zurückgeschickt wurde, falls es ihr nicht gelang, den Fehler auszubügeln. Rasch sagte sie: »Erzähl
mir noch einmal von den alten Göttern.«
»Das kann ich nicht. Dein Vater mag es nicht, wenn ich dir solche Märchen erzähle.« Die Worte waren zum Teil eine Frage, zum
Teil eine Feststellung.
Johanna wußte, was zu tun war. Feierlich legte sie sich beide Hände aufs Herz und sprach den heiligen Eid genau so, wie ihre
Mutter es sie gelehrt hatte. Beim geheiligten Namen von Thor dem Donnerer gelobte Johanna ewige Verschwiegenheit.
Gudrun lachte und zog das Mädchen wieder an sich. »Also gut, du kleine Wachtel. Ich werde dir die
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