Die Patchwork-Luege
gähnt die Langeweile aus allen Knopflöchern.«
Es gibt natürlich Ausnahmen wie Loki und Helmut Schmidt. Egal, wo das Paar auftrat, es wirkte, als seien die beiden miteinander verwachsen. Es war unmöglich, sich den einen ohne den anderen vorzustellen. Am Ende dachte man allerdings eher an eine seltene Spezies als an ein reales Liebespaar. Eine weitere Ausnahme stammt aus der Gegenwelt: die Skiidole Rosi Mittermaier und Christian Neureuther.
Das Bild, das die Medien von Christiane Wulff zwischen den Zeilen entwerfen, zeigt eine biedere, unmoderne Frau, die sich nicht um ihren Ehemann, dafür aber um die Pferde gekümmert hat, weshalb Christian Wulff nicht länger mit ihr in einem »schlichten Einfamilienhaus« festsitzen wollte. Bettina Körner befreite ihn aus diesem fast zwanzigjährigen Beziehungsgefängnis und zog mit ihm in eine »feine Penthousewohnung« ins vornehme Philosophenviertel von Hannover.
Das Präsidentenpaar, hieß es im Focus , verkörpere die »junge Republik«. Es runde einen gesellschaftlichen Trend ab, der mit einer ostdeutschen Pfarrerstochter an der Regierungsspitze begann, einen schwulen Vizekanzler sowie die Karriere eines vietnamesischen Adoptivkinds zum Parteivorsitzenden und Wirtschaftsminister ermöglichte. Die Beispiele zeigen, wie tolerant wir geworden sind, und das ist zweifellos gut so. Nur passt das Patchworkmodell der Wulffs nicht nahtlos in diese Reihe, weil Patchwork nichtvon vornherein die beste Lösung ist, sondern in der Regel eben nur die zweitbeste.
Die Scheidung, die Hochzeit, das gemeinsame Kind: Christian und Bettina Wulffs Patchworkfamilie haftet kein Makel an. Im Gegenteil, es wirkt, als sei die Patchworkkonstellation eine Leistung, für die man den Wulffs zurecht anerkennend auf die Schultern klopft. Bei den Bürgern ist Christian Wulff nach wie vor beliebt, sie mochten ihn auch 2007, als er sechs Wochen vor der Niedersachsenwahl und noch in erster Ehe verheiratet, öffentlich machte, dass er und Bettina ein Kind erwarteten. Ein Boulevardblatt schrieb damals: »Die als stur verschrienen Niedersachsen haben schon einmal – als Gerhard Schröder quasi über Nacht aus der Ehe mit Hiltrud Schröder gestolpert war, um zu Doris Schröder-Köpf zu wechseln – bewiesen, dass zwischen Harz und Bremerhaven eine viel coolere Lebensweisheit vorherrscht als vermutet.«
Die Scheidung von Hiltrud war Schröders dritte Scheidung. Sechzehn Jahre war er mit Hillu zusammen und Stiefvater von zwei Kindern, dann brach er von einem auf den anderen Tag die Brücken ab. »Besonders schlimm«, sagte die Stieftochter Franka Hampel in einem Interview, »war die Sache mit den Pferden. Sein letzter Satz war: ›Ich bezahle dafür nicht mehr, du kannst sie gern verkaufen.‹«
Das neue Familienleben mit Doris, zwei russischen Adoptivkindern, dem Familienhund Holly und dem Kater Schnurri (»quirliges Potpourri im hannoverschen Reihenhaus«) instrumentalisierte Schröder genauso klug, wie er es 2002 mit der Oderflut getan hatte, als er in Gummistiefelnund grüner Regenjacke durch das überschwemmte Land stapfte. Und er wurde gewählt. Er lächelte uns an und erzählte vom Familienglück.
Auch bei Gerhard Schröder sprach niemand vom Scheitern, weil die Rettung der Ehe mit Hiltrud misslang. Innerhalb seiner Partei musste Schröder keine Angriffe fürchten, da man bei den Sozialdemokraten bezüglich der Moral nicht übermäßig strenge Maßstäbe anlegt und auch mal ein Auge zudrückt. In der Presse las man Sätze wie: »Altkanzler mit junger Familie, das hatten wir noch nie!«
Vielleicht beging der konservative bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer einen Fehler, als er seine Frau nicht für seine jüngere Geliebte, die ein Kind von ihm erwartete, verließ. Auch er hätte eine Patchworkfamilie gründen können. Horst Seehofer führte stattdessen drei Jahre lang ein Doppelleben und hielt die Berliner Geliebte und die Gattin im Süden Monate hin, bevor er sich für seine Ehe entschied. Parteifreunde und Medien kritisierten seine Wankelmütigkeit, seine Affäre und das uneheliche Kind störten sie nicht. Die Tageszeitung verteidigte den Politiker unter dem Titel »Patchworkpapa und die Fallensteller«. Es gebe schließlich einige Berlin-Pendler, die das Patchworkmodell praktizierten.
Am 25. Oktober 2008 wurde Horst Seehofer zum CSU-Parteichef gewählt. Die Selbstverständlichkeit, mit der das geschah, überraschte bei einer Partei, die auf Moral pocht und die Familie als einen ihrer
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