Die Patchwork-Luege
Qualität der Serie an amerikanischen Vorbildern orientiere. Dramaturgisch und schauspielerisch ist davon nicht viel zu spüren.
Die Kinder sind in der Pubertät oder gerade auf dem Weg dorthin, und man weiß natürlich nie, wer in dieser Zeit mehr leidet, die Eltern oder die Kinder. Da wir uns in der Patchworkwelt befinden, verzweifeln wir am Ende nicht, sondern bleiben froh zurück.
Die Fernsehpatchworkwelt verbreitet Hoffnung, das ist ihre Aufgabe. Wie in den Printmedien sind wir in ihr von sorglosen Menschen umgeben, die die Dramatik des Lebens verschont hat. Es gibt keinen Neid, keine Missgunst, keine Trauer, kein Leid, keine Verzweiflung, keineVerluste. Es gibt keine Schwerverwundeten, nicht einmal Leichtverletzte. In besonders schlimmen Fällen verpacken Autoren die Patchworkfamilie in eine triviale Komödie, geben ihr einen Titel, der nichts Gutes verheißt (zum Beispiel Meine schöne Bescherung , Regie: Vanessa Jopp) und erfinden Wörter wie »polynukleare Familienstrukturen«.
Die Familie ist ein Ort des Unglücks und Glücks zugleich. Diese Vorstellung ist mehr und mehr vom Fernsehschirm und aus den Köpfen der Drehbuchautoren verschwunden, zumindest könnte man das annehmen.
Fragt man Drehbuchautoren, sagen sie etwas anderes. Sie schieben die Schuld am Niedergang der Qualität auf die Sender. Ihnen fehlten der Mut und die Ideen, sie fürchteten um die Quote. Sehr beliebt seien im Moment »Dokusoaps« und »Crime-Fun«-Geschichten, in denen Menschen Mordfälle lösen, die hauptberuflich Haare schneiden oder Tote bestatten. Da die Welt schlecht sei, fragten viele nach Drehbüchern, in denen die Welt gut ist. Palmen, Strand, Sonne, Liebe, ein Arzt, so etwas verkaufe sich ausgezeichnet.
Bei den Privatsendern, die auf die Einschaltquote und die Werbeeinnahmen angewiesen sind, kann man das nachvollziehen, bei den öffentlich-rechtlichen, die sich zum Großteil aus Gebührengeldern finanzieren und die einen Auftrag zu erfüllen haben, nicht. Im Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien steht immerhin: »Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen.«
Wie erschreckend wenig die Fernsehfamilie mit der tatsächlichen Familie zu tun hat, zeigt die Studie des Grimme-Instituts von 2006, die im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Familienbilder im deutschen Fernsehen analysiert. Die Autoren der Studie, Irmela Hannover und Arne Birkenstock, sahen sich dafür etwa 500 Stunden fiktionale und nichtfiktionale Fernsehsendungen verschiedener Sender an. Sie werteten ARD, ZDF, vier regionale ARD-Sender sowie sechs Privatsender aus. Sie sahen Serien, Gerichtsshows, Boulevardmagazine, Ratgebersendungen, Talkshows und Filme.
Die deutsche Frau bekommt im Schnitt 1,36 Kinder, die deutsche Fernsehfrau 0,48, im Krimi gar nur 0,29, »was das Filmleben der Primetime zur quasi kinderfreien Zone macht«. Ihre Beschäftigungsquote liegt im realen Leben bei 57 Prozent, im Fernsehen bei 76 Prozent. Damit übertrifft sie sogar die Quote der Norwegerinnen, die mit 73,5 Prozent weltweit am höchsten ist.
Die Serien-, Krimi- und Fernsehfilmprotagonisten leben am liebsten als kinderlose Großstadtsingles (es sind mehr als doppelt so viele wie in der Realität). Drei Viertel aller Protagonisten sind kinderlos. Die ledige Frau ist in der Regel jung, schlank, hübsch, die verheiratete mütterlich und Witwen kommen als Matronen daher. Familien mit Kindern sind Ausnahmen, die klassische Kleinfamilie mit zwei Kindern ist im fiktionalen Fernsehen im Grunde ausgestorben. Familien sind entweder weit verzweigte Groß- oder zusammengewürfelte Patchworkfamilien. DieFrau ist erfolgreich, alleinerziehend und ein Multitasking-Genie oder eine »einsame Wölfin im Krimi«.
Die Männer im Krimi sind so einsam wie die Frauen. Im Tatort ist die eigentliche Aufgabe der Kommissare, Verbrechen aufzuklären, oft nur noch eine Nebenaufgabe, so sehr sind sie Getriebene ihrer eigenen Unzulänglichkeiten. Es begegnen einem fast ausschließlich Beziehungskrüppel, an der Liebe Gescheiterte, die nicht in einer Familie Halt finden, sondern in einem Koordinatensystem aus Mord, Raub, Geldwäsche, Prostitution und Vergewaltigung. Die Angst der Kommissare, ihre emotionale Ritterrüstung abzulegen, ist größer als die vor körperlichen Verletzungen. Innige Begegnungen dauern nie an, was daran liegt, dass es sich bei den Begehrten entweder um
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