Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
sich auf Holzregalen Apfelreihen, die in der letzten Erntezeit eingelagert worden waren. Hem ließ sich Zeit dabei, den besten Apfel auszuwählen, ergriff ihn und streichelte über dessen seidige goldene Schale. Ein einzelnes getrocknetes Blatt hing an seinem Stängel. Hem kehrte hinaus in den Obstgarten zurück und bissin das weiße saftige Fruchtfleisch. Dann hörte er, wie jemand seinen Namen rief. Er schaute auf und sah Maerad, die den Kieselpfad herab auf ihn zukam. Er winkte und fing an zu rennen, das Gesicht strahlend vor Freude.
Sie rief ihn nach Hause.
Das Lied
Bevor sie Sjug’hakar Im am folgenden Morgen verließen, sah Hem sich mit düsterer Miene im Lager um. Das beunruhigend klare Wetter der vergangenen Tage hielt immer noch an, und ein fahles Winterlicht fiel auf das hellbraune Grasland von Nazar, verlieh ihm einen zarten Ton, der ihn unverhofft schmerzlich an die unberührte Landschaft erinnerte, die er gesehen hatte, als Nyanar ihn in eine frühere Zeit mitgenommen hatte. Er drehte sich um und betrachtete nachdenklich die dunkle Masse der Glandugir-Hügel. Das Gefühl von Krankheit strahlte von ihnen ab wie Hitze von einem fiebrigen Leib; er spürte es im Gesicht. Und dennoch hatte er in ihren Tiefen das zarte Tänzeln eines Schmetterlings in einem Sonnenstrahl vor langer, langer Zeit beobachtet. Zelikas Grab besuchte er nicht noch einmal. Er hatte sich bereits von ihr verabschiedet; ihr Tod lebte nunmehr in ihm als Last, die er bis zum Ende seiner Tage mit sich herumschleppen würde. Hem hoffte, dass sie sich hier, begraben in diesem traurigen Land, das einst wie Zelika wunderschön gewesen war, nicht einsam fühlen würde. Er dachte daran, was Nyanar ihm über die Zeit gesagt hatte; dass alle Zeit nebeneinander bestand. Nichts ist wahrhaftig verschwunden… Nur für mich ist es nicht so, dachte Hem. Oder für sonst irgendeinen Menschen. Wir können uns nur vorwärts bewegen, es sei denn, wir sind Gäste in einem Zauber, der nicht der unsere ist. Wir sind zu einer endlosen Gegenwart verdammt und können nie zurückkehren. Die Quelle all unserer Freude und all unseres Kummers.
Schwer seufzend schlang er sich sein Bündel auf die Schultern. Saliman, der jegliche Spuren ihres Lagers beseitigt hatte, indem er die Asche ihres Feuers vergraben und die Glimmerschleier zerlegt hatte, näherte sich hinter ihm. »Bereit, Hem?«, fragte er.
Hem drehte sich um und sah dem Barden in die Augen. Aus Salimans Zügen sprach taktvolles Mitgefühl; er ahnte, was Hem empfand, wollte sich aber eindeutig nicht einmischen. Langsamnickte Hem, dann rief er Irc. Anschließend wandten sie sich nach Norden und traten den Marsch zurück zur Grube an.
Es herrschte wieder der alte Takt aus Verstecken und Vorsicht, Schattenlabyrinthen und Glimmerschleiern. Hem fiel auf, dass ihm diese Zauber einfacher und weniger ermüdend erschienen als früher; tatsächlich empfand er sie sogar als Erleichterung nach den vergangenen Wochen, in denen er zu allem anderen einen schwierigen Tarnbann aufrechterhalten hatte.
Außerdem stellte er fest, dass ihm nicht mehr so übel war. Vielleicht hatte seinKörper sich angepasst; oder vielleicht war seine Übelkeit in den Glandugir-Hügeln so schlimm gewesen, dass sie sich nun vergleichsweise harmlos anfühlte. Oder vielleicht, dachte er müßig, hatte Nyanar ihn irgendwie dagegen gestärkt. Er fragte sich, ob er dem Elidhu noch einmal begegnen würde. Bei ihrem letzten Gespräch hatte Nyanar gesagt, er würde Hem sehen, wenn er aus Den Raven zurückkehrte, aber bislang gab es keine Anzeichen des Elementars.
Hem und Saliman bewältigten den Weg so rasch, wie es die gebotene Vorsicht gestattete. Die Mittagsmahlzeit aßen sie, ohne dabei anzuhalten, um sich auszuruhen. Saliman wollte nach Möglichkeit binnen zwei Tagen zurück zur Grube gelangen. Den Waldrändern blieben sie zwar fern, doch sie behielten die Straße in Sichtweite. So wie es aussah, würde das gute Wetter demnächst enden; dunkler werdende Wolken scharten sich am Himmel, und ein scharfer, schneidender Wind zwackte Hems Hände und Gesicht. Ihnen blühte zumindest eine elende Nacht unter offenem Himmel im Regen.
Weder Saliman noch Hem sprachen viel. An jenem Tag verspürte der Junge Dankbarkeit für Salimans schweigsame Gesellschaft; seine stete Gegenwart spendete ihm nach so langer Zeit ohne menschliche Gesellschaft großen Trost. Aber der Gedanke verursachte Hem jäh Schuldgefühle; es fühlte sich an, als wäre er Irc
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