Die Perlenzüchterin
und rief nochmals: »Matthias? Matthias! Kommen Sie zurück.
Cooee!
«
»Keine Spur von dem Idioten!« Bobby lief zurück zum Auto, setzte den Hut auf und schraubte den Verschluss wieder auf die Wasserflasche. Von einem Baum brach er einen Ast ab und machte sich dann in die Richtung auf, in die Matthias gegangen war. Den Ast zog er durch den Staub, um eine Spur zu hinterlassen.
Zwei Stunden später war Bobby wieder am Auto – allein. Von Matthias keine Spur, und die Hitze war unerträglich. Er hoffte inständig, der Deutsche würde zurückfinden, oder es käme zumindest jemand vorbei, der ihm beim Suchen helfen konnte.
Matthias hatte ebenfalls immer wieder laut gerufen – vergeblich. Obwohl er mittlerweile völlig erschöpft war, lief er weiter. Er spürte, wie die Hitze ihm die Energie aussaugte. Gesicht und Nacken brannten. Seine Sportkappe reichte nicht als Schutz gegen diese unbarmherzige Sonne.
Wasser. Der Wunsch danach beherrschte seine Gedanken. Ein Glas Wasser. Er hatte eine Flasche beim Taxi zurückgelassen. Nun sah er sie genau vor sich, jedes Detail der sprudelnden Quelle auf dem Etikett. Plötzlich erblickte er ein Stück voraus einen Wasserlauf, ja, richtiges Wasser da drüben bei der Baumreihe. Er stolperte darauf zu, und der Wasserlauf verschwand …
Was mache ich hier eigentlich, in diesem gottverlassenen Land? »Hilfe«, wollte er rufen, doch aus seiner trockenen Kehle kam kein Laut mehr. Die Welt begann sich zu drehen. Er stolperte zu einem Baum, wollte sich anlehnen und brach zusammen.
Was in Kuala Lumpur wie ein unkompliziertes Geschäft geklungen hatte, hatte ihn immer weiter auf die schiefe Bahn geführt. Wenn man an der Universität doch nur seinen Vertrag verlängert hätte! Er wäre womöglich nicht so rasch in Versuchung geraten, seine moralischen Grundsätze über Bord zu werfen. Letztlich hatte er alles sich selbst zuzuschreiben, doch jedes Mal, wenn er erneut der Versuchung erlag, schwor er sich, dies werde das letzte Mal sein. Nur dieses eine letzte Mal noch, das ihn aus dem Schlamassel ziehen würde, den er aus seinem Leben und seiner Karriere gemacht hatte. Er musste lediglich seinen Teil der Abmachung bei der Kontaktperson in den Kimberleys abliefern und zu gegebener Zeit ein wenig übersetzen.
Doch nun fühlte sich jeder Atemzug an wie der Luftstrom aus einem Hochofen. Er rappelte sich auf, fiel jedoch wieder hin. Er stemmte sich auf alle viere hoch und kroch ein Stück weiter.
Da, da hinten glänzt das Taxi. Nein. Jetzt ist es wieder weg. Die Erde reißt auf. Wird sie mich verschlingen? Ich rieche Wasser. Ich rieche Äpfel. Mutters Küche.
Er fiel flach aufs Gesicht und biss in Erwartung des Geschmacks von Apfelkuchen in die rote Erde. Er hustete, würgte und hob bestürzt den Kopf. Die Sonnenkugel loderte und blendete ihn. Er sah die einzelnen Sonnenstrahlen. »Ich hab’s, Hajid. Wir können mit der Suche anfangen.«
Seine Lippen waren geschwollen. Keine Worte mehr. Er biss sich auf die Zunge, schmeckte salziges Blut. Arme und Beine von sich gestreckt, hilflos, wühlten seine Finger im Staub. Dann wusste er nichts mehr.
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Kapitel eins
»Hast du wieder geweint, Lily?« Die Frau, die die Frangipani-Blüten von dem gepflegten grünen Rasen vor der Rezeption harkte, lehnte den Rechen an den Baum und ging zu Lily, die gerade aus dem Mietwagen stieg.
»Hallo, Blossom. Was für eine Frage. Das Flugzeug legt sich schräg, ich sehe die roten Felsen, die Farbe des Wassers, die Bucht, die Mangroven, die Blechdächer, und schon ist’s um mich geschehen. Broome geht mir jedes Mal sofort unter die Haut.«
»Alle Jahre wieder, hm? Wann ziehst du endlich hierher, Lily?«
Sie betrachtete die elegante Frau in zitronengelber Leinenhose und cremefarbener Seidenbluse; das weiche dunkle Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Kaum eine Falte im Gesicht, dabei muss sie fünfzig sein, dachte Blossom. Wie aus dem Ei gepellt. Und doch fügte Lily sich ins Broomer Leben ein.
»Ach, komm schon. Ich bin gerade erst angekommen. Erst schwimmen, dann ein Nickerchen. Und dann denke ich an morgen. Aber kein Stückchen weiter voraus.«
Blossom, die braun gebrannte, drahtige Frau, die für die Gartenpflege der Moonlight Bay Apartments zuständig war, holte Lilys Tasche aus dem Kofferraum. »Ich bringe sie hoch. Diane hat dich in deinem Stammapartment untergebracht. Die Tür ist offen. Ich hab dir ein paar Mangos hingelegt.«
»Du bist ein Schatz, Bloss. Danke. Es ist herrlich, wieder
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