Die Perlenzüchterin
Felskunst zu erfahren, als Forschungsassistentin ihres Professors und im Rahmen der Forschung für ihre eigene Doktorarbeit. Es war keine angenehme Aufgabe, und sie schien mit jedem Tag, den sie in diesem Teil des Outback verbrachte, komplizierter zu werden. Oft hatte sie das Gefühl, als blickte ihr jemand über die Schulter und in ihre Gedanken hinein. Und sie wusste, diese Empfindungen hingen mit einer Tatsache zusammen, die sie nur schwer akzeptieren konnte: der entfernten Blutsverwandtschaft mit den Ureinwohnern und dem Völkergemisch an der Kimberley-Küste.
Seit dem Tod ihrer Großmutter Georgiana und der ersten Reise ihrer Mutter Lily nach Broome hatte ihr Leben sich drastisch verändert. Sami war klar, dass ihre Mutter sich noch keinen festen Wohnsitz im Norden suchen mochte, weil sie hoffte, dass Sami wenigstens eine Zeit lang bei ihr in Broome leben würde. Doch Sami hatte diese Hoffnungen nicht genährt und ignorierte ihren fernen Verwandten.
Ihre Ururgroßmutter war eine Mischlingsfrau gewesen. Sami lehnte diese Verwandtschaft als zu entfernt und fremdartig für eine gesellschaftliche oder emotionale Bindung ab. Und Lilys tiefe Verbundenheit mit diesem Teil der Familie war zwischen ihnen zu einem Tabuthema geworden – beinahe von dem Tage an, an dem Lily Sami von den Neuigkeiten über ihre Familiengeschichte erzählt hatte. Die dreiundzwanzigjährige Sami hatte gerade von den Freunden erzählt, bei denen sie gewohnt hatte, während Lily jene erste bedeutsame Reise nach Broome unternommen hatte. »Die sind so cool. So witzig und so interessant. Eine ganz bunte Mischung – italienisch und vietnamesisch. Ich finde es einfach toll, wie sich bei denen die Kulturen im Essen, in der Religion und in den Bräuchen vermischen«, schwärmte sie.
»Du findest also unsere weiße, angelsächsische, protestantische Herkunft reichlich gewöhnlich?«, fragte Lily ruhig.
»Genau, total langweilig.«
»Und wenn du plötzlich eine interessante Familie haben könntest, wie fändest du das?«
Sami hörte einen seltsamen Unterton in der Stimme ihrer Mutter. »Wie zum Beispiel? Was soll die Frage? Du weißt, dass wir das nicht haben.«
»Sami, ich habe in Broome viel Neues über unsere Familie herausgefunden …«
»Du meinst außer dem berüchtigten Kapitän Tyndall und der schönen Olivia? Außer Opa Hamish und Großmutter Maria, die die liebe Oma Georgiana bekamen, die nie Oma genannt werden wollte. Das ist nicht gerade multikulti, Mami«, erwiderte Sami bissig.
»Sami, ich habe dir nicht die ganze Geschichte erzählt. Sie ist ziemlich … kompliziert«, sagte Lily sanft und schloss kurz die Augen, als ringe sie um innere Stärke für ihr Anliegen.
Als Sami den Gesichtsausdruck ihrer Mutter sah, begriff sie, dass das Gespräch ernst wurde. »Ich glaube, du erzählst mir lieber alles.«
Lily holte tief Luft. »Der erste Mensch, mit dem ich in Broome ein bedeutungsvolles Gespräch führte, war vermutlich eine alte Aborigine, die auf einer Sandbank angelte: Biddy. In dem Moment schien es mir nichts Besonderes, aber im Nachhinein gesehen war es ein Omen. Sie hatte für viele Familien in der Stadt gearbeitet, deshalb wusste sie viel über ihre Geschichte. Das fand ich faszinierend. Rate mal, für wen sie am längsten gearbeitet hatte? Für John Tyndall, meinen Urgroßvater. Dann ging ich zum Cable Beach Club und sah mir eine Kunstausstellung an. Auf einem der Bilder war das gleiche Motiv dargestellt wie auf dem Perlmuttanhänger, den ich nach dem Tod meiner Mutter unter ihren Sachen fand.«
»Das Weihnachten, an dem du mir den Ring mit der Perle geschenkt hast?«
»Der Ring gehörte Olivia. Die erste Perle, die ihr Perlenunternehmen
Star Of The Sea
gefunden hatte. Tyndall, Yoshi und Ahmed, sein malaiischer Gehilfe, hatten ihn für sie angefertigt.«
»Das hast du in ihrem Tagebuch gelesen?« Lily hatte Sami erzählt, dass sie Olivias Tagebuch im Historischen Museum in Broome gelesen hatte.
»Ja. Der Anhänger stammte von John Tyndalls makassarischer Geliebter Niah. Ihre Mutter war eine Aborigine – eine Bardi.«
»Seine Geliebte? Bevor er Olivia heiratete? Was passierte mit dieser Niah?«
»Tyndall und Niah hatten eine Tochter: Maya«, fuhr Lily fort. »Und auch Mayas Geschichte ist traurig und schön zugleich. Wie bei Niah ist es eine tragische Geschichte.«
Sami war wie betäubt. Das klang wie die Zusammenfassung eines Kitschromans. »Was hat das mit uns zu tun? Das war vor einer Ewigkeit.«
»Hab
Weitere Kostenlose Bücher