Die Perlenzüchterin
Geduld, Liebes. Ich war mir unsicher, wie du diese Neuigkeiten aufnehmen würdest. Es ist alles ein bisschen kompliziert, aber auch spannend«, sagte Lily. »Weil Maya zur Hälfte eine Weiße war, wurde sie von den Missionaren nach Perth geschickt und wuchs dort als weißes Kind unter dem Namen Maria auf.«
»Eines dieser Kinder aus den ›gestohlenen Generationen‹?
»In gewisser Weise war sie das wohl. Wie auch immer, Maya, die Tochter, die Niah mit Tyndall hatte, heiratete Olivias Sohn aus erster Ehe, Hamish Hennessy. So kamen die beiden Familien auf völlig ungewöhnlichem Wege zusammen.«
»Mami, das klingt wie die Handlung einer TV -Soap«, rief Sami. »Und ich hab das Gefühl, du hast noch ein paar Episoden auf Lager.«
»Nun ja.« Lily atmete tief durch. »Also, Hamish und Maya hatten eine Tochter: Georgiana. Von ihr, meiner Mutter, haben du und ich die Gene, durch sie sind wir blutsverwandt mit Tyndalls und Olivias Familien … all das ist ein Teil von uns.« Lily lehnte sich im Sessel zurück. Sie wirkte ein wenig ausgelaugt.
Sami sagte kein Wort. Sie war wie betäubt von dieser Enthüllung. Diese Verbindung zu den Aborigines gab es sicherlich, aber sie schien irgendwie unwirklich zu sein. Nein, dachte Sami, nicht unwirklich, bloß unwichtig. Das lag ewig zurück, die Verbindung war so indirekt. Ihr fiel es schwer, sich vorzustellen, dass ihre Großmutter auch nur im Mindesten etwas von einer Aborigine hatte.
Lily beobachtete das Gesicht ihrer Tochter und spürte eine wachsende Anspannung und Ungläubigkeit bei ihr. »Auch für mich war es erst mal ein Schock, Sami, als ich das alles in Olivias Tagebuch las und dabei entdeckte, dass John Tyndall ein Verwandter von mir war. Worauf ich bei meinem ersten Besuch dort nicht vorbereitet war, war die Begegnung mit Rosie Wallangou, der jungen Aborigine-Künstlerin, die ein Bild von dem Anhänger gemalt hatte. Olivia hatte ihr wegen der familiären Verbindung Geld hinterlassen. Als mir klar wurde, dass wir durch den Anhänger verbunden sind, habe ich sie noch einmal besucht und ihre Familie kennen gelernt, auch die alte Biddy.«
»Die alte Aborigine-Dame, mit der du gesprochen hast, als sie angelte?«
Lily lächelte schwach. »Liebes, ich weiß, das ist eine Menge Neues, das du erst mal verdauen musst. Tatsache ist aber, sie alle – auch die alte Biddy – sind durch alle möglichen Sachen mit uns verbunden – Blut, Heirat, Verwandtschaft, Haut und Umgang. Wir sind eine Familie.«
Wieder schwiegen sie beide, während Sami versuchte, diese außergewöhnlichen Neuigkeiten zu verarbeiten. Es war zu viel auf einmal. Als Einzelkind einer allein erziehenden Mutter mit einem unzuverlässigen, fern von ihr lebenden Vater hatte sie sich immer nach einer Familie gesehnt – jedoch nicht so einer.
»Das ist nicht meine Familie«, rief sie plötzlich, stand auf und raffte ihre Sachen zusammen. »Mit diesen Menschen habe ich nichts zu tun.«
Lily stand ebenfalls auf und wollte ihre Tochter umarmen, doch Sami riss sich los. »Bitte zieh keine voreiligen Schlüsse, Liebes. Bitte. Du brauchst da im Augenblick überhaupt nichts zu unternehmen, denk einfach drüber nach. Ich schäme mich nicht dafür, dass es in unserer Familie Aborigine-Blut gibt.«
»So einfach ist das nicht für mich, Mami«, explodierte Sami. »Die sind da irgendwo, jetzt. Es ist doch nicht so, als wäre das alles nur Vergangenheit und wir können da ach so verdammt liberal und … politisch korrekt damit umgehen und so!«
»Wenn du sie erst kennen lernst …«
»Ich will nicht, Mami. Ich will nicht mit Leuten herumhängen, mit denen ich nichts gemein habe, bloß weil mein Ururgroßvater ein Techtelmechtel mit einem Mischlingsmädchen hatte! Und sie wollen vermutlich auch nichts zu tun haben mit einem weißen Yuppie wie mir. Himmel, ich wünschte, du hättest mir das nicht erzählt.« Sie verschränkte die Arme in der Abwehrhaltung, die Lily so vertraut war.
»Ich wollte dir gegenüber ehrlich sein. Hätte ich es dir nicht erzählt, dann dürftest du wütend auf mich sein.« Lily versuchte, die Situation etwas zu entkrampfen. »Ich hab dich noch nie von dir selbst als Yuppie sprechen hören.«
»Du weißt genau, was ich meine. Ich bin weiß, gebildet, eine Akademikerin, verdammt noch mal. Mein Leben ist völlig anders als ihres, wir haben nichts gemeinsam. Womöglich erwarten sie von uns sogar noch eine finanzielle Unterstützung. Du weißt doch, wie sie sind: was dein ist, ist
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