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Die Pfade des Schicksals

Die Pfade des Schicksals

Titel: Die Pfade des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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ergründen?«
    Er rieb sich das Gesicht, prüfte den Sitz seiner Augenbinde und begann mit seiner Erklärung.
    »Die Geschichte von Kelenbhrabanal, dem Vater der Pferde, ist weithin bekannt. Es ist kein Geheimnis, dass er in alter Zeit, als ein Ansturm von Kresh und weiterer Übel die Ranyhyn auszurotten drohte, versucht hat, ein Abkommen mit Fangzahn zu treffen. Aus Sorge um seine schwindende Herde hat Kelenbhrabanal ihm angeboten, sein Leben für ihres zu opfern. Auf diesen schlimmen Handel ging Fangzahn ein, weil er auf Betrug sann. So hat Kelenbhrabanal dem Feind die Kehle geboten, und sein Blut wurde bis zum letzten Tropfen vergossen - und trotzdem griffen die Kresh weiter an, bis die Ranyhyn sich nur mehr durch Flucht retten konnten. Sie verließen ihre Heimat und kehrten erst wieder zurück, als sie sich die Ramen verpflichtet hatten, für sie zu sorgen und zu kämpfen.
    Diese Geschichte kannten früher alle, die das Land bewohnten. Heute ist sie beinahe in Vergessenheit geraten.«
    Linden hatte sie bereits gehört; die Riesinnen nicht. Sie hörten weiterhin gespannt zu.
    »Aber unter den Ramen«, fuhr Mahrtiir fort, »ist über Kelenbhrabanals rätselhaftes Ende ungezählte Generationen lang spekuliert worden.« Seine Stimme klang allmählich kummervoll. »Über Jahrhunderte hinweg, in denen diese Sage wieder und wieder erzählt wurde, hat uns stets die gleiche Frage bewegt: Wie ist Kelenbhrabanal umgekommen?
    Im Zeitalter der Lords ist uns versichert worden, Fangzahn sei ein körperloses Übel. Aye, er kann nach Belieben körperliche Substanz annehmen. Und seine Theurgien können sich zweifellos greifbar manifestieren. Trotzdem bleibt sein Wesen körperlos. Darin gleicht er den Wüterichen, die keine Gewalt ausüben können, wenn sie nicht von einem Wirt Besitz ergriffen haben.
    Wie wurde der Mord an Kelenbhrabanal also verübt?« Der Mähnenhüter versank in traurige Niedergeschlagenheit. Als er weitersprach, klang seine Stimme trübselig heiser. »Hätte Fangzahn eine körperliche Gestalt angenommen, um den Vater der Pferde zu töten, hätte er den Tod unter Kelenbhrabanals Hufen riskiert. Und Kelenbhrabanal war zu zaubermächtig, um den Magien zu erliegen, die Fangzahn indirekt einsetzte.
    Trotzdem wurde Kelenbhrabanal wirklich getötet und sein Blut vergossen. Über Generationen hinweg haben die Ramen sich gefragt: Wie? Auf welche Weise ist Kelenbhrabanal ums Leben gekommen?
    Welches Verbrechen - außer dem offenkundigen Betrug - sollen wir Ramen betrauern?«
    Mahrtiir gewann seinen Zorn zurück. Sein Tonfall wurde schärfer, und während sich seine Art veränderte, begann Linden aufmerksamer zuzuhören. Über diese Frage hatte sie nie nachgedacht, aber sie konnte sich denken, wohin sie führen würde.
    Beim Rösserritual hatte sie erfahren, dass die Ranyhyn Scham empfanden. Damals hatte sie verstanden, wie und warum sie sich die Schuld an Elenas Schicksal gaben. Jetzt vermutete sie jedoch, Mahrtiir habe eine tiefergehende Erklärung anzubieten. Indirekt würde er vielleicht enthüllen, weshalb Tiere, die klug und genügsam wie die großen Pferde waren, anderen ebenso selbstlos dienten, wie die Ramen ihnen dienten.
    »Wir stellen nur untereinander Vermutungen an«, fuhr der Mähnenhüter fort. Er sprach leise weiter, doch sein unterschwelliger Zorn war nicht zu überhören. »Wir verstehen nichts von solchen Dingen. Aber die Angst der Ranyhyn vor dem Lauerer der Sarangrave - vor diesem Übel - ist unverkennbar. So ist für uns das Geheimnis Kelenbhrabanals eng mit der Angst der Ranyhyn verwoben. Und wir vermuten, auch wenn wir es nicht beweisen können, dass der Lauerer das Mittel war, mit dem Fangzahn den Vater der Pferde umgebracht hat.
    Vielleicht täuschen wir uns. Fangzahn hat stets Diener gehabt, die willig seine Aufträge ausgeführt haben. Trotzdem bleibt der Kern unserer Spekulationen erhalten. Von allen Übeln, die wir Ramen kennengelernt haben, fürchten die Ranyhyn nur den Lauerer. Und wir glauben bestimmt, dass die großen Pferde Kelenbhrabanals Tod nicht vergessen haben. Die Erinnerung daran wird bei jedem Rösserritual wieder aufgefrischt - von Geist zu Geist, über Generationen hinweg -, bis jede Stute, jeder Hengst mit Betrug und Schrecken Bescheid weiß. Aus diesem Grund, so vermuten wir, trauern sie und können ihre Angst nicht beherrschen und schämen sich.«
    Während Linden dem Mähnenhüter zuhörte, verstand sie seinen Zorn - und vielleicht auch den Hynyns. Im Hintergrund ihres

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