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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Samstag, 21. Mai
1
    Du weißt nie, wann Feierabend ist.
    Das weißt du nicht. Das kann schon morgen sein. Oder heute.
    Man geht spazieren und hört die Vögel singen: Amsel, Drossel, Fink und wie sie alle heißen; wie ging das Lied noch mal weiter? Egal, Kindheit war eh scheiße.
    Also, du freust dich, dass der Winter endlich vorbei ist, Winter ist nämlich superscheiße, saugefährlich, wenn du Platte machst, und trotzdem: alles besser als zu Hause.
    Jetzt weiß ich schon wieder nicht mehr, was ich sagen wollte. Da, die Frau mit dem Kind, die vor mir den Friedhof verlässt, die hat auch gemerkt, dass ich durcheinander bin. »Guck dir den gut an«, sagt sie zum Kind, »so kaputt wie der ist.«
    Die Leute denken, ich merk nicht, dass sie mich verachten. Ich merk’s aber.
    Wo war ich stehen geblieben?
    Bei Marie. Wegen ihr war ich ja auch auf dem Friedhof.
    Auf Marie bin ich sofort abgefahren, schon das erste Mal, als ich sie gesehen hab. Jetzt zusammen sein mit Marie, das wär ein Traum, das wär das höchste denkbare Glück. Selbst wenn das Bettzeug schmutzig wär und das Zimmer nicht geheizt. Selbst wenn sie wieder ihren schlimmen Husten hätte.Ich bin auch immer so am Pfeifen, das kommt so, wenn man auf der Straße lebt, genau wie das Jucken. Alles ist am Jucken, und wenn du kratzt, fängt’s an zu bluten, und dann geh du mal und schnorr bei einem Kleingeld, das mach mir mal vor, weil: Die gucken direkt auf deine Ekzeme und die riechen dich ja auch. Deshalb geben die dir das Kleingeld auch nie in die Hand. Pappbecher ist okay oder vor die Füße werfen.
    Bin ich selbst schuld dran, sollt mich waschen.
    Hab echt andere Probleme, als mich zu waschen. Marie ist tot, mausetot, dabei hat die so ’nen Schutzengel gehabt, aber die Schutzengel, die sind wie die Leute, die vor Aids Angst haben, die meiden dich auch irgendwann oder kommen mit Mundschutz und Gummihandschuhen. Scheiß auf die Schutzengel, verdammtes Pack. Brauch keinen, bin noch nicht alle. Ich weiß noch, was ich tu. Ich bin extra hierhergefahren zu ihrem Grab, hab sogar eine Rose besorgt, von so ’m anderen Grab, sind eh alle tot. Marie auch.
    Kann mich noch erinnern an den Tag, als mein Vater gebrüllt hat, dass er uns umbringen würde. Dem war das zuzutrauen. Der ist auch auf mich oft losgegangen. Mit den Fäusten. Einmal auch mit ’m Messer. Deshalb bin ich weg von zu Hause. Hab keinen Bock mehr auf seine Wutausbrüche und blaue Flecken gehabt. Gerd ist ein brutales Arschloch und bei der Erinnerung daran, wie er Marie und mich überrascht hat, als wir uns ein paar Euro aus Mamas Portemonnaie genommen haben, packt mich das kalte Grausen. Um Haaresbreite sind wir dem entkommen. Wie Gerd hinter uns her ist, wie ein Irrer. Von außen harmlos: Baseballkappe, Turnschuhe, T-Shirt – wie einer, der nur die Einfahrt von seinem Haus von Grashalmen befreien will, aber ich sag dir, mit einem Killerinstinkt bis in die Haarspitzen.
    Wenn ich an den letzten Tag zu Hause denk, reg ich mich jedes Mal auf. Dann krieg ich sofort Herzrasen, so ’ne Angst,dabei brauch ich die jetzt gar nicht mehr haben. Jetzt, wo Marie tot ist, kann er ihr auch nichts mehr tun. Aber mein Herz, das rattert sowieso manchmal, das ist nicht mehr feierlich, wie das klabastert, dabei bin ich erst einundzwanzig. Mein Alter mit seinen dreiundvierzig sieht fast jünger aus als ich. Grotesk, was? Meine Gesichtshaut ist so wie die vom Hintern einer achtzigjährigen Oma.
    Ich brauch was zu trinken.
    Keiner da, den man anhauen kann? Mutter und Kind stehen jetzt vorm Tor an der Bushaltestelle, warten, glotzen rüber. Glotzen tun die Leute alle gern, aber geben werden die nichts, nicht am späteren Abend auf verlassener Straße vorm Friedhof, und auch sonst nicht, da wett ich, so eine wie die, die spendet maximal dem Igelschutzverein.
    Fragt das Kind: »Mutti, mit wem spricht der komische Mann? Und warum schreit er und schlägt in die Luft? Ist doch gar keiner da.«
    Und sie: »Guck dir den gut an, so kaputt wie der ist. Steig schnell ein, da kommt der Bus.«
    Verlogenes Familienpack! Weggeguckt hat meine Alte und verlassen hat sie Gerd erst, als ich schon mehr als zwei Jahre auf der Straße gelebt hab. Da saß er allein in seinem sauberen Reihenmittelhaus und ich hab von den beiden erst wieder was gehört, als Marie gestorben ist. Erfroren ist sie. Am 2. Februar. Ist natürlich nicht ins Sleep-in gegangen, weil die da nämlich klauen wie die Raben.
    Jedenfalls hab ich seitdem wieder den Alten auf

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