Die Pfade des Schicksals
Junge hat nicht verdient, was ihm zugestoßen ist.
Die hämische Freude des Eggers, als er ihr den Stab entriss und hochhielt, als er Stab und Ring wie Siegstrophäen hochreckte, war mehr, als sie ertragen konnte. Sie wandte den Blick ab.
»Sieh her, mein Volk!«, rief der Egger zu den Sternen hinauf. »Sei Zeuge und erzittere! Bald werde ich mich als größter aller Insequenten beweisen - als der größte, der je gelebt hat!«
Hätte Linden ihn dabei beobachtet, hätte sie vielleicht allen Mut verloren.
Ihre Gefährten schienen kein Wort herausbringen zu können. Sie hatten nicht an ihren Visionen teilgehabt. Die Vorstellung, sie habe die Schlange geweckt, musste ihnen vage irreal erscheinen: unmöglich, unvorstellbar. Aber sogar Liand, der am wenigsten erfahrene, am wenigsten gebildete ihrer Freunde, begriff die ungeheure Bedeutung ihrer Kapitulation vor dem Egger.
Ganz in ihrer Nähe flatterten die Bänder des Eifrigen unschlüssig, als versuchten sie, sein heimliches Entsetzen zu tarnen. Der Gedanke, dass sie ohne Macht nicht länger für den Weltuntergang verantwortlich gemacht werden konnte, hätte ihr vielleicht gewisse Erleichterung schenken sollen; aber stattdessen fühlte sie sich, als hätte sie sich eine Verletzung beigebracht, die sie unmöglich überleben konnte.
4
Nach Unweisheit
L inden Avery wäre am liebsten ins weiche Gras gesunken und hätte die Hände vor das Gesicht geschlagen. Sie war von Scham erfüllt, auf die sie kein Anrecht hatte. Als sie dem Egger gegeben hatte, was er wollte - wenn auch vielleicht nicht, als sie Thomas Covenant gewaltsam aus dem Bogen der Zeit gerissen hatte -, hatte sie genau gewusst, was sie tat. Sie hatte ihre Entscheidung bewusst getroffen. Sie konnte sich nicht damit herausreden, unverschuldet in diese Lage geraten zu sein.
Helft ihr mir?, wollte sie fragen, obwohl sie kaum wusste, wer noch bereit oder imstande sein würde, ihr zu Hilfe zu kommen. Bitte?
Du hast Gefährten, Auserwählte. Brauchst du Rat, musst du dich an sie wenden.
Von ihnen hatte einzig Liand sich etwas Theurgie bewahrt - und sie hatte seinen Rat ignoriert. Sie hatte auf keinen ihrer Freunde gehört.
Zu deprimiert, um noch länger vor dem Egger zu stehen, ging Linden zögernd auf Covenant zu. Wenigstens vorläufig bereitete er ihr trotz seiner unkontrollierbaren Aussetzer und seiner Lepra die geringeren Schmerzen. In Andelain würde er sicher sein - alle ihre Gefährten würden hier sicher sein -, wenn der Egger sie mit sich nahm. Solange Loriks Krill die wilde Magie von Joans Ring reflektierte, konnten die Flammengeister alles Unheil abwenden. Sogar Kastenessen und die Skurj, auch Roger und Esmer wurden so daran gehindert, mit ihrer Bösartigkeit in das Land zwischen den Hügeln einzudringen.
Trotzdem waren solche Dinge Linden kein Trost. Die ungewohnte Leere ihrer Hände machte sie verwundbar, und sie war sich der orientierungslosen Verzweiflung, mit der ihre Freunde ihr folgten, als sie sich nun von dem Egger abwandte, nur allzu deutlich bewusst. Das Einschussloch in ihrer Bluse hatte keine Bedeutung mehr, seit der rote Flanell nicht mehr Covenants Ehering bedeckte. Stattdessen ließen ihre Todeswunde, der Stoffstreifen, den sie für das Gewand der Mahdoubt abgerissen hatte, und die von Ästen und Zweigen verursachten kleinen Risse sie äußerlich so hinfällig erscheinen, wie sie sich innerlich fühlte. Jeremiahs roter Rennwagen in den Tiefen ihrer Tasche war nun ihr einziger Halt. Ihr Sohn brauchte sie, und Linden wusste kein anderes Mittel, um ihn zu retten.
Auf dem Boden der Senke schritt Covenant noch immer langsam um den leuchtenden Krill herum und studierte ihn, als könnte der Dolch ihn irgendwie in der Zeit verankern, wenn er nur die richtige Methode dafür fände. Dabei monologisierte er halblaut, nur um - so schien es - seine Begleiter zu beschäftigen. Vielleicht aber, so dachte Linden, versuchte er auch lediglich, sich möglichst viele seiner zersplitterten Erinnerungen zu bewahren.
Die Gedemütigten, Pahni, Bhapa und drei oder vier Riesinnen bildeten einen lockeren Kreis, der Covenant und den verkohlten Stumpf von Caer-Caverals Leichnam umgab. Riesinnen und Seilträger gleichermaßen erweckten den Eindruck, als hätten sie den Versuch aufgegeben, aus Covenants Äußerungen eine zusammenhängende Geschichte herauszuhören. Der ausdrucklose Stoizismus der Gedemütigten tarnte ihre Hoffnung, aber sie schienen darauf zu warten, dass der U-Lord und Zweifler wieder jener
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