Die Praktikantin
dich ja melden, wenn du die Sache mit Michelsen geregelt hast. Oder wenn du mir sonst etwas erklären willst.«
Ich war noch nicht ganz wach. »Was sollte ich dir sonst erklären wollen, Marie?«
»Vielleicht, was Michelsen davon abhält, dich zum Chefredakteur der Metro-News zu machen? Bist du einer der Volontärinnen an den Rock gegangen? Oder hast du Kameras auf dem Frauenklo versteckt? Ihr Männer könnt so widerlich sein …«
»Marie, was soll das. Bist du …«
»Was soll was?« Ihre Augen waren rot, ihr Lidstrich über beide Wangen verteilt, die Lippen trocken. Sie hatte Mundgeruch. »Was soll was, Johann? Ich habe die ganze Nacht darüber |22| nachgedacht, warum Michelsen dich in dieses Wützen schickt. Es gibt keinen anderen Grund, als dass du dir irgendetwas hast zuschulden kommen lassen und schnell weg musst aus München, und …«
»Glaubst du wirklich, ich könnte …«
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll, Johann. Ich weiß nur, wie dich die jungen Redakteurinnen und Praktikantinnen immer angehimmelt haben, auf euren Weihnachtsfeiern und so. Und ich weiß, dass die alles dafür tun würden, um weiter nach oben zu kommen. Hat ja mehr als ein Mal in der Nacht dein Blackberry geklingelt …«
»Weil ich Chefredakteursbereitschaft hatte …«
»… und eines dieser jungen Dinger war dran. Du kannst mir viel erzählen, Johann. Aber ich will es jetzt nicht hören. Kläre deine Angelegenheiten, und dann sehen wir weiter. Oder eben nicht. Mir auch egal.«
Erst jetzt sah ich, dass Marie den Verlobungsring nicht mehr trug.
»Wo ist der Ring, Marie?«
Sie nahm die Tasche vom Boden, drehte sich um und rannte zur Wohnungstür. Die Tür knallte zu, bevor ich es auch nur in den Flur geschafft hatte. Ich überlegte kurz, ob ich ihr hinterherlaufen sollte, aber das hätte lächerlich ausgesehen mit nichts als einer grünen Boxershorts am Körper. Ich griff zum Handy, tippte Maries Nummer ein und hörte Martin Luther King »I have a dream« aus dem Schlafzimmer rufen. Marie hatte sich den umjubelten Satz als Klingelton auf ihr Mobiltelefon geladen und das unter der historischen Deutschlandkarte vergessen, ein Geschenk ihrer Mutter zum Einzug. Dort fand ich auch, was ich an meiner Verlobten vermisst hatte. Irgendwo in Nordrhein-Westfalen hing an einer Stecknadel mit rotem Kopf der Verlobungsring.
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|23| VIER
Ich kann nicht streiten. Wann immer es Ärger gibt, bin ich derjenige, der zugeschlagene Türen öffnet, endlose Entschuldigungen auf Anrufbeantworter oder Mailboxen spricht, Merci-Schokolade verschickt oder gleich Rosen. Die Frage nach der Schuld, für die meisten Menschen das Wichtigste, ist mir dabei egal. Ich nehme sie gern komplett auf mich, solange nur schnell alles wieder gut ist und alle sich, also mich, wieder liebhaben.
Die Festnetznummer von Maries Mutter fand ich im Telefonbuch.
»Guten Tag. Hier ist der Münchner Anschluss 25 44 76. Leider ist im Moment niemand erreichbar. Bitte hinterlassen Sie Ihre Nachricht nach dem Pieps. – Pieps.«
»Hallo, Frau Böhmer, hier ist Johann. Ich weiß nicht, ob Marie schon bei Ihnen angekommen ist. Aber sagen Sie ihr doch bitte, dass sie mich dringend zurückrufen möchte und dass mir alles sehr leidtut. Ich werde …« Der nächste Pieps, diesmal länger und lauter. Das Band musste voll sein. Ich rief noch einmal an. Diesmal sprang der AB gar nicht erst an. Hatte die Mutter ein Handy? Wahrscheinlich, aber die Nummer hatte sie mir nie gegeben. Ich wusste ja nicht einmal, wo sie wohnte. Marie-Eva Böhmer hatte es abgelehnt, ihren künftigen Schwiegersohn zu Hause zu empfangen, solange er nur ihr künftiger Schwiegersohn war.
Auf der Suche nach einer Handynummer von Maries Mutter wühlte ich mich durch die Stapel von Papier auf unserem neuen Schreibtisch, in den wir eigentlich genau nach den Vorschriften von Werner Tiki Küstenmachers »Simplify your life« Ordnung hatten bringen wollen, es angesichts der Aufregung der vergangenen Tage aber nicht geschafft hatten. Ich fand verschiedene |24| Kopien der ersten Kapitel von Maries Diplomarbeit – habe ich überhaupt schon erzählt, dass sie Betriebswirtschaftslehre studierte und in diesem Jahr endlich fertig werden wollte, nach vierzehn Semestern? –, vier verschiedene Angebote für Hochzeitsfeiern, den Kaufvertrag für die Wohnung und die noch offene Rechnung über die Maklercourtage, eine achtseitige Übersicht über die erschreckende Entwicklung meines Privatmandatdepots bei der
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