Die Priesterin von Avalon
reichhaltige Zurschaustellung zu Anfang verblüfft hatte, als ich aus Avalon kam, wo wir wussten, dass die ganze Erde heilig war, aber nicht einsahen, diesen Standpunkt mit derart vielen Verzierungen hervorzuheben. Nach mehr als zwanzig Jahren hatte ich mich jedoch daran gewöhnt.
»Aber niemand zwingt uns, sie zu verehren«, sagte ich langsam - denn es war Jahre her, seitdem ein Kaiser das durchzusetzen versucht hatte.
»Selbst wenn man sie berührt, sie nur ansieht, ist es eine Schande«, stöhnte Vitellia. »Nur in der Kirche, die wir im Wald vor den Stadtmauern errichtet haben, können wir uns wirklich frei fühlen.«
Ich hob eine Augenbraue. An Beltane war ich über die in den Norden führende Straße vor die Stadt gegangen, als mir die Felder in Londinium selbst zu eng wurden. Jetzt fiel mir das Gebäude wieder ein, ein bescheidener Bau aus Flechtwerk und Lehm mit einem schlichten Kreuz über der Tür. Aber im Wald ringsum hatte sich die Macht der Geister an jenem Tag wie Summen bemerkbar gemacht, und eingedrückte Stellen im Gras wiesen darauf hin, dass junge Paare den Herrn und die Herrin am Abend zuvor auf ihre Weise geehrt hatten. Wie konnten die Christen glauben, sie könnten den alten Göttern entgehen, wenn sie aus der Stadt hinauszögen?
Doch es war nicht meine Aufgabe, ihnen die Augen über Sachverhalte zu öffnen, die sie einfach nicht sehen wollten. Vitellia redete noch immer:
»Und eins unserer älteren Mitglieder hat am Kai ein Gebäude gestiftet, das wir zu einer Zufluchtstätte für die Armen gemacht haben. Unser Herr hat uns aufgetragen, uns der Witwen und Waisen anzunehmen, und das tun wir, ohne zu fragen, welchem Glauben sie angehören, solange sie in unseren vier Wänden nicht den Namen von Dämonen in den Mund nehmen.«
»Das scheint mir eine wertvolle Arbeit zu sein«, sagte ich. Bestimmt war es mehr als alles, was von der Obrigkeit zu erwarten war.
»Wir können immer Helfer gebrauchen, um die Kranken zu pflegen und das Essen auszuteilen«, sagte Vitellia. »Ich erinnere mich, dass es in Dalmatien damals hieß, du würdest dich mit Kräutern auskennen.«
Ich unterdrückte ein Lächeln. Der Unterricht bereitete mir Freude, füllte mich aber nicht aus. Es mochte interessant sein, dachte ich, eine Weile mit diesen Christen zusammenzuarbeiten.
So war es auch. In den darauf folgenden sieben Jahren lebte ich glücklich und zufrieden und machte mich nützlicher als zu der Zeit, da meine einzigen Pflichten darin bestanden hatten, Konstantius den Haushalt zu führen und das Bett mit ihm zu teilen.
Im dritten Jahr des neuen Jahrhunderts trafen Ende Februar die Nachrichten ein, die alles verändern sollten. Auf dem Rückweg von meinem allwöchentlichen Besuch bei der Bastet-Priesterin vernahm ich vom Markt her Geschrei. Als ich die Richtung einschlagen wollte, hielt mich Philipp zurück, der mich an jenem Tag begleitete.
»Falls es dort einen Aufruhr gibt, Herrin, bin ich vielleicht nicht imstande, dich zu schützen. Bleib hier…« Beim Anblick des Mithräums, vor dem wir standen, verzog er das Gesicht. »Hier bist du sicher, und ich sehe derweil nach, was es mit diesem Tumult auf sich hat.«
Lächelnd schaute ich ihm nach, wie er die Straße hinunterging, und dachte daran, wie schmächtig er damals war, als er in unseren Haushalt eintrat. Er war noch immer von schmaler Statur, aber er war kräftiger geworden. Ich versuchte mich zu erinnern, ob diese Veränderung eingetreten war, nachdem er Christ wurde oder mit seiner Freilassung durch Konstantius begann. Ich hielt Ersteres für wahrscheinlicher, da es seinen Geist befreit hatte, noch ehe sein rechtlicher Status verändert wurde. Vielleicht hatte er sich aus diesem Grund auch entschlossen, bei mir zu bleiben, als er seine Freiheit erhielt.
Es dauerte lange, bis er zurückkam. Ich setzte mich auf eine Bank vor dem Mithräum und betrachtete das Relief, auf dem der Gott den Stier erschlägt. Ich fragte mich, ob Konstantius hier war, als er sich in Britannien aufhielt. Er bekleidete einen höheren Rang im Kult, denn ich erinnerte mich daran, dass er des Öfteren für zusätzliche Weihen abwesend war, aber natürlich hatte der Gottesdienst an Mithras keinen Platz für Frauen, und er durfte mir nicht sagen, was vor sich ging. Dennoch war mir, als ich dort saß, als stünde ich unter seinem Schutz. Ich war froh, dass mich der Gedanke an ihn nicht mehr so schmerzte wie zuvor.
Dann vernahm ich rasche Schritte und erblickte Philipp, dessen
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