Die Priesterin von Avalon
kam mir eine Spur zu zögerlich, und da fiel mir das längst vergessene Ritual der Hirschjagd ein, die das kleine Volk in den Marschen bei Avalon zuweilen durchführte, wenn es notwendig war. Mir schien, dass ich das ferne Echo ihres Rufes vernahm: » Was wird aus dem Hirschkönig, wenn der Junghirsch erwachsen ist? «
Aber wir waren hier in Rom, sagte ich mir, und Konstantin war ein zivilisierter Mensch. Schaudernd schob ich die Erinnerung wieder in die Dunkelheit zurück, aus der sie aufgetaucht war.
»…aber er ist noch jung«, fuhr Konstantin fort, »und unterliegt der Fleischeslust, die Männer in sündige Liebschaften treibt.«
Ich unterdrückte ein Lächeln. »Nicht alle so genannten Liebschaften sind ungesetzlich, sonst wäre er nie zur Welt gekommen. Im Übrigen hätten dann auch dein Vater und ich in Sünde gelebt.«
»Nein!«, rief Konstantin. »Du warst die eigentliche Gemahlin meines Vaters. Das hat er mir gesagt!«
Ich seufzte und sah, dass es zwecklos war, wollte ich ihm erklären, dass unsere Ehe eher in der geistigen Welt denn vor dem römischen Gesetz gültig war. Mir fiel ein, dass Konstantin stets hartnäckig an seiner Version der Realität festgehalten hatte.
»Die Tage der heidnischen Unmoral sind vorbei! Bald wird das Christentum der einzige Glaube sein, und die kaiserliche Familie muss ein Beispiel geben. Ich baue eine Kathedrale zu Ehren der Märtyrer Marcellinus und Petrus an der Straße, die an dein Palastgelände anschließt. Du wirst ihre Patronin.«
»Konstantin! Nicht einmal der Kaiser kann über das Gewissen eines anderen Menschen bestimmen, wie Diokletian und Galerius zu ihrem Nachteil erfahren mussten. Willst du dein eigenes Edikt verleugnen, das allen Toleranz zubilligte?«
»Oh, ich werde die Heiden nicht verfolgen…« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn sie die Pracht der Kirche sehen, werden sie um Einlass betteln! Aber wenn Gott meine Herrschaft segnen soll, dann muss meine Familie nur IHM dienen.«
»Stimmt…«, meine Stimme wurde leiser. »Und wann hast du dich taufen lassen? Ich wäre gern dabei gewesen…«
Er wurde plötzlich still, und ich fragte mich, ob der Schauder, den ich gerade empfunden hatte, ein Anflug von Angst gewesen war. Er war Kaiser, und von Kaisern wusste man, dass sie in der Vergangenheit nahe Verwandte hatten hinrichten lassen, selbst ihre Mütter. Doch schon lächelte er wieder, und ich schalt mich ob solcher Gedankengänge. Vor mir stand Konstantin, mein Kind, das ich zu dem Zweck geboren hatte, die Welt zu verändern. Das war tatsächlich eingetreten, selbst wenn die Art der Veränderungen weit von allem entfernt war, was wir uns auf Avalon vorgestellt hätten.
»Die Taufe ist ein sehr heiliger Ritus«, sagte er mit ebenso leiser Stimme. »So heilig, dass sie nur einmal durchgeführt werden kann, um alle Sünden reinzuwaschen und die Seele auf das Paradies vorzubereiten. Doch ich bin Kaiser und muss in einer sehr unvollkommenen und sündigen Welt herrschen…«
Und du gehst davon aus, dass du vielleicht noch Sünden begehen wirst , dachte ich sarkastisch, sprach den Gedanken jedoch nicht laut aus.
»Ich lebe in derselben Welt«, sagte ich stattdessen. »Bevor du diese Bindung nicht selbst eingehst, kannst du sie nicht von mir verlangen. Aber ich will deine neue Kirche unter meinen Schutz nehmen und mich als Neuling in dieser Religion unterweisen lassen.«
Angeregt durch Marthas Eifer hatte Cunoarda bereits damit begonnen. Ich hatte beide Frauen freigelassen, als ich Martha in meinen Haushalt aufnahm, denn ich konnte das albanische Mädchen nicht als Sklavin behandeln, nachdem wir gemeinsam wie Priesterinnen im Krankenhaus gearbeitet hatten.
»Dann bist du eine Christin!«, rief Konstantin aus.
»Nenn mich, wie du willst«, sagte ich müde. »Die Wahrheit ändert sich nicht.« Ich verschwieg ihm, dass nicht sein Beispiel mich inspiriert hatte, sondern der schlichte Glaube einer syrischen Sklavin.
»Ehre sei Christus, in dessen Namen wir alle gerettet werden!« Konstantins tief liegende Augen strahlten vor Überzeugung. Ich zog mich zurück und versuchte mich daran zu erinnern, wo ich einen solchen Blick schon einmal gesehen hatte. Erst am Abend, als ich zu Bett gehen wollte, fiel es mir ein. In dieser Stimmung war Konstantin das Ebenbild von Ganeda gewesen, die stets mit selbstgerechter Sicherheit Vorschriften gemacht hatte.
18. Kapitel
A. D. 325-326
»Im Namen Christi, warum können sie nicht zustimmen?«, rief
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