Die Priesterin von Avalon
zu gehen.
»Hab Dank. Wenn du mich bitte zur Tür begleiten wolltest, dann kann Cunoarda mir nach Hause helfen. Du weißt, ich wohne nicht weit von hier.«
»Ich werde Gott heute Abend in meinen Gebeten preisen«, sagte Sylvester leise, als wir zur Tür hinausgingen, »denn Er hat mir ein Wunder gezeigt.«
Ich seufzte, da er vermutlich nicht Marthas Genesung meinte. Doch die alte Tätowierung auf meiner Stirn pochte, und ich hatte das Gefühl, als hätte auch ich das Wunder erlebt, zu erfahren, dass ich nach all den Jahren noch immer eine Priesterin war.
»Der Patriarch lobt dich in den höchsten Tönen«, sagte Konstantin. Es war Hochsommer, und die letzten Pestfälle waren einige Monate zuvor gestorben oder genesen, doch Sylvester und ich hatten unsere gemeinsame Arbeit zugunsten der Armen in der Stadt fortgesetzt, und ich glaubte, dass mein Sohn sich darauf bezog.
»Aber du hättest deine Gesundheit nicht aufs Spiel setzen dürfen«, fuhr er fort. »Hätte ich davon gewusst, dann hätte ich es verboten. Du weißt gar nicht, wie wichtig du bist.«
Eine alte Frau wichtig? , wunderte ich mich. Dann wurde mir klar, dass es die Mutter des Kaisers war, um die es ging, nicht die wirkliche Helena. Er sah nicht mich, sondern eine Ikone mit meinem Namen. Es war nur natürlich, dass ein Kind an seine Mutter nur in Bezug auf sich selber dachte, aber es war ein Zeichen von Erwachsensein, wenn man in der Lage war, seine Eltern wie Menschen zu sehen, die ihr eigenes Leben lebten. Seinerzeit begann ich sogar Ganeda zu verstehen, obwohl ich ihr noch nicht verziehen hatte. Ich schluckte eine Entgegnung hinunter, die ihn vielleicht geärgert hätte, und dachte, ich sollte lieber dankbar sein, dass Sylvester nicht mehr verraten hatte.
Konstantin war auf einem Feldzug an der Grenze zu Dakien gewesen, und im hellen Morgenlicht sah man ihm das Alter von nahezu fünfzig Jahren deutlich an. Mein Sohn war in mittleren Jahren stämmiger geworden, als strebte er danach, den heroischen Dimensionen seiner Statue zu ähneln, die für seine Kathedrale gemeißelt wurde. Doch sein helles Haar war noch immer dicht und kräftig, wenn es auch zu einem Farbton zwischen Flachsblond und Silber verblasste.
»Die Not war groß«, antwortete ich. »Es blieb mir nichts anderes übrig, als nach bestem Vermögen zu helfen.«
»Du hättest dich anders entscheiden können«, berichtigte er mich. »Wie viele Patrizier dieser Stadt haben mit dir bei den Kranken geschuftet?«
Ich überlegte kurz und schlug ein paar Namen vor.
»Die sind schon Christen und brauchten nur ein Beispiel«, erwiderte er. »Unter den Heiden findest du ein solches Selbstopfer nicht. Verstehst du jetzt, warum ich den christlichen Gott bevorzuge?«
Ich nickte, denn für die Römer stimmte das, doch wir hatten in Avalon versucht, allen zu helfen, die zu uns kamen.
»Es ist lange her, seit wir Gelegenheit hatten, miteinander zu reden, Mutter, und ich habe dir vieles zu sagen«, fuhr Konstantin fort. »Von Jahr zu Jahr wird deutlicher, dass die alten Überlieferungen ohne Wirkung sind. Es ist der eine Wahre Gott, dessen Willen wir gehorchen müssen, wenn wir das Imperium erhalten wollen, und die Familie des Kaisers ist ein Beispiel für alle. Deshalb habe ich Crispus erlaubt, sich schon so früh zu vermählen.«
»Du musst sehr stolz auf ihn sein«, antwortete ich und dachte an die Siege über die Germanen im Jahr zuvor. In Crispus sah ich den wiedergeborenen Konstantin, noch ruhmreicher sogar, ohne das Misstrauen, das mein Sohn bei Diokletian gelernt hatte.
»Ja. Ich ernenne ihn und den kleinen Konstantinus in diesem Jahr zu Konsuln.«
»Das wird Licinius nicht gefallen«, stellte ich fest. »Im vergangenen Jahr hast du dich und Konstantius ernannt, ohne Licinius oder seinen Sohn zu erwähnen. Und wenn du auch weiterhin die meiste Zeit in Sedicia verbringst, so nahe an seiner Grenze, wird er denken, du habest die Absicht, ihn anzugreifen.«
Konstantin zuckte mit den Schultern. »Hast du wirklich geglaubt, wir könnten das Imperium ewig teilen? Wenn die Christen in Armenien mich rufen, werde ich ihnen helfen, und wenn die Westgoten Thrakien angreifen, werde ich sie zurückschlagen. Licinius wird zweifellos etwas dagegen haben, und es wird noch einen Krieg geben.«
»Ich hoffe, du kannst ihn noch ein oder zwei Jahre verschieben, bis Crispus genug Erfahrung hat, um ein wirklich guter Befehlshaber zu sein«, erwiderte ich.
»Ja, der Junge entwickelt sich gut…«
Seine Antwort
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