Die Priesterin von Avalon
nach Jericho veränderte sich die Landschaft. Die Bäume, die in der Gegend von Hierosolyma auf den Bergen standen, wichen Sträuchern, die schließlich in den steinigen Bergen gänzlich zu verschwinden schienen. Bei dem gemächlichen Tempo, das meine schmerzenden Gelenke erforderten, dauerte es drei Tage, bis wir die palmengesäumte Oase erreichten, deren Lehmhütten sich unter den uralten Erdwall duckten. Der Palast des Herodes war verfallen, doch auch hier war ein einheimischer Kaufmann gern bereit, sein Haus einer Kaiserin zur Verfügung zu stellen.
Schließlich ging es mir wieder so gut, dass ich mir die Umgebung ansehen und Leviyah etwas Auslauf verschaffen konnte. Im Vergleich zu den großen Strömen Europas war der Jordan ein eher bescheidener Fluss, selbst dann noch, wenn er infolge des Winterregens anschwoll, doch die grünen Ufer waren ein erfreulicher Anblick. Als wir uns weiter fortwagten, folgten wir dem Fluss bis zum Ufer des Toten Meeres.
Im Westen hingen die Wolken über den Bergen und durchnässten ohne Zweifel noch immer Hierosolyma, hier aber war der Himmel strahlend blau. Zu dieser Jahreszeit gedieh in den Bergeinschnitten ein wenig Vegetation. Allerdings schien es unmöglich, dass Menschen hier leben konnten, bis unser Führer auf einen Reisigunterstand deutete oder auf ein Loch in den steilen Hängen, in dem einer der sogenannten Perfecti den weltlichen Versuchungen entsagte. Wir schlugen unser Lager unterhalb der Ruinen eines Palasts auf, der den Namen Sekakah trug. In früheren Zeiten hatte darin eine Gemeinschaft jüdischer Heiliger gelebt.
In diesem kahlen Land fand ich zu einem eigenartigen Frieden. Ein Bote wurde zurückgeschickt, um die Versorgung zu holen, die wir für einen längeren Aufenthalt brauchten, und wir ließen uns nieder. Ich badete in dem salzigen Wasser, das warm wie Blut und so mineralhaltig war, dass ich an der Oberfläche wie ein Kind im Mutterleib schwamm. Ich unternahm ausgiebige Spaziergänge am sonnendurchwärmten Ufer, bei denen Leviyah neben mir hertollte.
Auf einem dieser Spaziergänge am helllichten Tag, als die Felsen - vom Wasser ausgespült und zu phantastischen Pilzgestalten geformt - weiß in der Sonne leuchteten, traf ich den alten Mann. Auch er war, ebenso wie ich, herausgekommen, um den Mittag zu grüßen, und stand mit hoch erhobenen Armen am Ufer.
Überraschenderweise verhielt sich Leviyah still, bis der Mann seine Anbetung beendet hatte. Als sie auf ihn zu tänzelte, drehte er sich lächelnd zu ihr um. Ich hielt mich indessen zurück, bis er eine einladende Geste machte. Das Leben in diesem öden Land hatte ihn bis auf die Knochen abmagern lassen. Seine Haut war so ledrig, dass es mir unmöglich war, sein Alter zu schätzen, nur sein graues Haar und der Bart ließen gewisse Schlüsse zu. Außer einem Stück Ziegenfell um seine knochigen Hüften war er nackt.
»Ich dachte, du gehörtest zu jenen, die nicht mit einer Frau reden dürfen«, sagte ich, als wir uns wieder dem Meer zugewandt hatten. Das bleifarbene Wasser schimmerte wie Silber im Sonnenlicht. Ich musste die Augen zusammenkneifen und versuchte das Gefühl zu unterdrücken, diesen Augenblick schon einmal erlebt zu haben.
»Was ist schon männlich oder weiblich, wenn wir als Geister vor Gott stehen? In der Wüste werden wahre Gegensätze offenbar - Licht gegen Dunkelheit, Hitze bekämpft Kälte«, antwortete er. »Es ist leichter, die Wahrheit zu erkennen. Die Menschen kommen hierher, um als Einsiedler zu leben, weil sie keine Hoffnung mehr haben, dass das Blut des Martyriums ihre Sünden abwäscht. Aber sie sind nicht die Ersten, die in dieser Wildnis Erleuchtung suchen. Die Menschen in Sekakah lebten ein Leben der Reinheit in ihren Höhlen, und unser Herr selbst hat vierzig Tage und vierzig Nächte nicht weit von hier gehungert und wurde vom Teufel versucht.«
»Und du, gehörst du zu jenen, die Weisheit suchen?«, fragte ich und beobachtete Leviyah, die zwischen den Steinen und Zweigen am Ufer herumschnüffelte.
»Noch vor Seiner Zeit hat es hier immer eine kleine Gemeinde gegeben, die bestimmte Lehren weitergegeben hat, welche die etablierten Religionen vergessen hatten. In der Vergangenheit haben Verfolgungen die Traditionen oft zerbrochen. Und jetzt fürchte ich, dass bestimmte Aspekte der uralten Weisheit unannehmbar werden für eine Kirche, die mit Wohlstand und Macht zu leben lernt.«
»Warum sagst du mir das?«, fragte ich und richtete meinen Blick schließlich auf sein
Weitere Kostenlose Bücher