Night Sky 1 - Sklave des Blutes (German Edition)
4. März 2011
J onas Baker hasste es, die Kontrolle zu verlieren.
Er hatte es zu weit getrieben, zu lange die Wälder nicht verlassen und sah sich jetzt gezwungen, seiner Gier nach Blut bei menschlichem Abschaum zu frönen. Zumindest war der korrupte Politiker, auf den er es abgesehen hatte, äußerlich sauber, wenn schon sein Lebenssaft bitter schmeckte.
Er sog die kühle Nachtluft ein, überprüfte den Außenbereich der Luxushotelanlage und ließ sich geschmeidig von einem hohen Baum gleiten. Lautlos huschte er zu einer Steinmauer, erklomm sie mühelos, übersprang einen unter Strom stehenden Stacheldraht sowie eine Sichtschutzpalisade. Er sah bestätigt, was er längst wusste. Alle Spabesucher hatten die dampfenden Wasserbecken zum Dinner verlassen – bis auf seine Beute. Sein Körper brannte vor Verlangen, der Geruch des Blutes hebelte seine Beherrschung aus. Schmerzhaft schossen seine Reißzähne aus dem Kiefer, während er die Distanz zu dem Whirlpool in ungeheurer Geschwindigkeit überwand. Aus dem Augenwinkel bemerkte er unversehens eine Gestalt, die aus dem Gebäude kam. Ihr zuckersüßer Duft stieg ihm in die Nase und ihr nackter Leib schürte seine Lüsternheit, versetzte sein Blut schlagartig in Wallung, ließ die heißen Triebe überkochen. Es war zu spät, die Gier zu mächtig, um sie zu bezwingen.
Er sprang mit einem Satz auf die Frau zu, riss sie mit sich zu seinem eigentlichen Ziel ins Wasser, packte den Mann und sie an den Kehlen und tauchte mit ihnen unter. Es kostete ihn keine Mühe, beide Personen zu kontrollieren. Er zog den Mann unnachgiebig heran und versenkte die Fänge in seiner pochenden Halsschlagader, während er die zappelnde Frau an die Whirlpoolwand drückte – darauf bedacht, sie nicht zu strangulieren. Blut schoss ihm warm in den Mund, er saugte mit tiefen Zügen, nicht nur, um die Sucht rasch zu stillen. Er durfte der Verlockung des sogar unter Wasser unwiderstehlich duftenden weiblichen Elixiers keinesfalls erliegen.
Niemals wieder.
Kurz nach dem Biss glitt sein Opfer in einen willenlosen Rausch, hing schlaff in seinem Arm und sein Lebenssaft schenkte ihm Kraft. Die sich permanent wehrende Frau bekam Atemnot. Jonas tauchte auf. Sie hätte nicht dabei sein sollen. Er versiegelte die Bisswunde mit seinem Speichel. Ein befriedigtes Knurren entrang sich seinem Inneren, Stärke pulsierte durch seine Adern wie Feuer. Er legte der nach Atem ringenden Frau zwei Finger an die Schläfe, nahm ihr die Erinnerung an die zurückliegenden Minuten und wiederholte die Prozedur bei dem Politiker.
„Es ist nichts geschehen, alles ist gut.“
Am liebsten hätte er dem Kerl ein Gewissen eingepflanzt, doch wer war er, dass er richten durfte? Mörder gehörten bestraft – vom Gesetz.
Würde ihn die Blutgier nicht in die Zivilisation zwingen, hätte er nie wieder einen Schritt in eine Stadt, ein Dorf oder ein Haus getan. Nicht ohne Grund hatte er vor hundert Jahren seiner Familie den Rücken gekehrt. Sich zu Einsamkeit verurteilt.
Jonas richtete sich auf, katapultierte sich aus dem Whirlpool und schüttelte das Wasser von seiner Lederkleidung. Ein letzter Blick, ob die beiden munter waren, da erstarrte er in der Fluchtbewegung. Auf der Wasseroberfläche dümpelte die USA Today vom 3. März 2011. Eine Schlagzeile bohrte sich tief in sein Herz, bevor das Blatt unterging.
„Diandro Baker, Milliardär und Eigentümer des weltweiten Baker Pharmakonzerns in San Francisco auf mysteriöse Weise gestorben“
6. März
E in strahlendes Blauorange erhellte den Himmel hinter den Bergen und die Skyline San Franciscos zeichnete sich schwarz am Horizont ab. Nach und nach schob sich der orangerote Glutball empor, setzte die erwachende Stadt mit Alcatraz und der Golden Gate Bridge zu ihren Füßen in Brand. Der gleißende Schein schien Jonas in seiner Trauer Lügen strafen zu wollen. Das Licht überwand unaufhaltsam die Baumspitzen, berührte die gepflegten Grabmale, die wie Gargoyles steinern über sie wachten und die Trauergesellschaft umstanden.
In gleichem Maße, wie sich Jonas der Nacht zugeneigt fühlte, hatte Diandro Baker die Morgendämmerung geliebt. Es gab keine geeignetere Tageszeit, um ihn würdevoll beizusetzen. Jonas’ Atem kondensierte zu Dunstwölkchen und anstelle des offenen Grabes sah er Dads Gesicht vor sich, wutverzerrt, mit erhobener Faust. Er streckte die unwillkürlich ebenso geballten Hände in den Manteltaschen.
Sein Blick streifte Sitara. Äußerlich gefasst folgte
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