Unglückskeks - Angermüllers achter Fall
Kapitel I
Inmitten der abendlichen Betriebsamkeit an der Supermarktkasse musste Marlene plötzlich an Sophie denken. Eine Welle von Zuneigung und Traurigkeit durchlief sie und sie spürte die Sehnsucht wie ein schmerzhaftes Ziehen. So schnell es ihr möglich war, schmiss sie die Einkäufe, welche die Kassiererin fertig durchgezogen hatte, in den groÃen Einkaufswagen.
Ich komme, meine Kleine, flogen ihre Gedanken voraus, hab âne Menge Sachen gekauft, die du gerne magst. Heute Abend werden wir schlemmen!
Als sie die Berge von Obst, Gemüse, Käse, Joghurt und allen möglichen Leckereien in Tüten und Körben im Kofferraum verstaut hatte, musste Marlene über sich selbst den Kopf schütteln. Eine vierköpfige Familie könnte sich tagelang davon ernähren. Sie hatte beim Einkaufen jegliches Maà verloren.
Endlich fand sie eine Lücke im vorbeirollenden Verkehr, fuhr vom Parkplatz und fädelte sich auf die HauptstraÃe ein. Kurz darauf bog sie nach links ab, um ihren ganz persönlichen Schleichweg durch stille WohnstraÃen mit schmucken Einfamilienhäusern von Ratekau nach Grootmühlen zu nehmen.
»Gleich bin ich bei dir, meine SüÃe«, murmelte Marlene vor sich hin und drückte aufs Gas, während sie im Handschuhfach nach ihrer Sonnenbrille angelte, »dauert gar nicht mehr lange. Und dann machen wir uns ein feines Abendessen, das sag ich dir!«
Die Sonne stand schräg am makellos blauen Himmel. Wie so oft hier an der Küste hatten sich die Wolken am späten Nachmittag verflüchtigt, und es versprach, ein milder Abend zu werden. Ob Sophie schon auf sie wartete? Marlene lieà sie ungern allein. Manchmal lieà es sich nicht vermeiden, manchmal hatte Sophie einfach keine Lust, so wie heute. Alle Ãberredungskünste, sie mit zum Einkaufen zu lotsen, hatten nichts gefruchtet. Sie hatte nach jedem ihrer Argumente nur den Kopf geschüttelt. Als Marlene trotzdem nicht aufhören wollte, auf sie einzureden, war Sophie böse geworden, hatte sich die Treppe hinauf in den ersten Stock gehangelt und die Zimmertür hinter sich zugeknallt. Natürlich war Marlene ihr nachgegangen, hatte ihr gesagt, dass es kein Problem wäre, ginge sie halt ohne sie einkaufen, sie dachte nur, sie langweile sich vielleicht allein.
Endlich fuhr sie über die weiÃe kleine Brücke, hinter der das Grundstück begann, wo auf einer Anhöhe Tante Birgits Haus stand. Ursprünglich war es einmal die einfache Kate der Müllerfamilie gewesen, doch irgendwann um 1900 hatte der neue Besitzer das Strohdach weggenommen, ein Stockwerk daraufgesetzt und eine kleine, bescheidene, aber hübsche Villa daraus gemacht. Marlenes Onkel hatte das Anwesen mit in die Ehe gebracht und hier mit Frau und Kindern gelebt. Nachdem ihr Mann vor 15 Jahren verstarb, die Kinder längst aus dem Haus waren, fand Tante Birgit es bald zu einsam und zu ruhig so ganz allein, und nahm sich in Bad Schwartau eine kleine Wohnung. Die Villa hatte sie als Ferienhaus eingerichtet. Doch nachdem sie erste Erfahrungen mit mäkeligen Gästen und deren Ansprüchen gemacht hatte, betrieb sie die Vermietung eher halbherzig. Die meiste Zeit stand das Haus leer, nur Kinder und Enkel nutzten es, wenn sie zu Besuch in die alte Heimat kamen.
Marlene hupte kurz und fuhr den Wagen mit einem rasanten Knirschen über den Kies direkt vor die Haustür, um ihre Einkäufe zu entladen.
»Huhu!«, winkte sie nach oben, wo sie Sophie hinter dem Fenster vermutete. Von dort hatte man die Auffahrt, ein Stück StraÃe, bevor sie einen Bogen nach rechts machte, die historischen Nebengebäude der Mühle gegenüber, in denen sich ein Restaurant befand, und die Einfahrt für die LKW im Blick. Erlaubte das Wetter nicht den Aufenthalt im Freien, saà Sophie gern dort oben und sah nach drauÃen, wo zwar auch wenig, aber immerhin etwas passierte.
Natürlich sorgte Marlene sich keineswegs, dass Sophie sich langweilte, wenn sie allein zurückblieb. Das nannte sie nur ihr gegenüber als Begründung, wenn sie die Freundin von zu Hause weglocken wollte. Vor allem seit Sophie sich mehr und mehr von dem verhassten Rollstuhl zu emanzipieren versuchte, war Marlene voller Angst, dass sie stürzen und sich verletzen könnte und dann nicht in der Lage wäre, Hilfe zu holen. Diese Angst machte, dass sie die Freundin am liebsten gar nicht allein lassen wollte.
Jedes Mal, wenn sie
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