Die Prinzen von Amber (5 Romane in einem Band)
Darstellung zu säubern versuchte.
Eine halbe Stunde später stand ich auf und streckte mich; dann bückte ich mich und massierte meine Beine, die eingeschlafen waren. Die Zeichnung des Leuchtturms war wieder sauber. Leider hatte ich etwa zwanzig Prozent des Bildes zerstört, ehe ich mich an die Struktur der Wand gewöhnt und die richtige Wischbewegung gefunden hatte. Ich nahm nicht an, daß ich meine Technik noch verbessern konnte.
Die Laterne begann zu flackern, als ich sie umsetzte. Ich entfaltete die Decke, schüttelte sie aus, und riß einen frischen Streifen ab. Dann machte ich mir ein neues Kissen, kniete mich vor der anderen Zeichnung hin und ging an die Arbeit.
Kurz darauf hatte ich die Reste des Bildes freigelegt. Den Schädel auf dem Tisch hatte ich vergessen, bis eine vorsichtige Bewegung ihn wieder zutage förderte – ebenso den Winkel der gegenüberliegenden Wand und einen hohen Kerzenhalter ... ich beugte mich zurück. Weiterzureiben konnte riskant sein. Wahrscheinlich war es auch überflüssig. Die Zeichnung kam mir so komplett vor, wie sie gewesen war.
Wieder flackerte die Lampe. Ich fluchte auf Roger, der es versäumt hatte, den Petroleumstand zu prüfen, stand auf und hielt das Licht in Schulterhöhe nach links. Dann konzentrierte ich mich so fest ich konnte auf die vor mir liegende Szene.
Während ich hinschaute, gewann das Bild bereits an Tiefe. Gleich darauf war es völlig dreidimensional und hatte sich über mein ganzes Blickfeld ausgebreitet. Da endlich trat ich vor und stellte die Laterne auf dem Tisch ab.
Ich sah mich um. An allen vier Wänden ragten Bücherregale empor. Fenster gab es nicht. Zwei Türen am entgegengesetzten Ende des Zimmers, sich links und rechts gegenüberliegend, die eine Tür zu, die andere halb geöffnet. Ich sah neben der geöffneten Tür einen langen niedrigen Tisch voller Bücher und Papiere. Bizarre Objekte standen an leeren Stellen in den Regalen und in seltsamen Wandnischen – Knochen, Steine, Töpfereiwaren, Schrifttafeln, Linsen, Stäbe, Instrumente, deren Zweck mir unbekannt war. Der riesige Teppich erinnerte mich an einen Ardebil. Ich machte einen Schritt in das Zimmer, und die Laterne flackerte ein drittesmal. Ich drehte mich um und griff danach. Im gleichen Augenblick verlöschte das Licht.
Ich brummte einen Fluch und senkte die Hand. Dann drehte ich mich langsam um und suchte nach möglichen Lichtquellen. Auf einem gegenüberliegenden Regal schimmerte etwas, das an einen Korallenzweig erinnerte; außerdem war am Fuße der geschlossenen Tür ein bleicher Lichtstreifen zu sehen. Ich ließ die Laterne stehen und durchquerte das Zimmer.
Ich öffnete die Tür, so leise es ging. Der benachbarte Raum war leer, ein kleiner fensterloser Wohnraum im schwachen Licht eines noch glimmenden Herdfeuers. Die Wände bestanden aus Stein und ragten hoch über mir auf. Die Feuerstelle sah aus wie eine natürliche Vertiefung in der Wand zu meiner Linken. In der Wand gegenüber entdeckte ich eine breite Metalltür; ein großer Schlüssel war halb herumgedreht.
Ich trat ein, nahm von einem Tisch in der Nähe eine Kerze und ging zur Feuerstelle, um sie anzuzünden. Als ich niederkniete und in die Glut blies, um eine Flamme zu entfachen, hörte ich leise Schritte von der Tür her. Ich drehte mich um und entdeckte ihn auf der Schwelle. Etwa fünf Fuß groß, bucklig. Haar und Bart waren noch länger, als ich sie in Erinnerung hatte. Dworkin trug ein Nachthemd, das biszu den Knöcheln herabhing. In der Hand hielt er eine Öllampe, seine dunklen Augen starrten an ihrem rußigen Aufsatz vorbei.
»Oberon«, fragte er, »ist es endlich Zeit?«
»Welche Zeit meinst du?« fragte ich leise.
Er kicherte.
»Na, welche schon? Zeit, die Welt zu vernichten!«
5
Ich hielt das Licht möglichst weit von meinem Gesicht ab
und sprach sehr leise.
»Noch nicht ganz«, sagte ich. »Noch nicht ganz.«
Er seufzte.
»Du bist noch immer nicht überzeugt.«
Er legte den Kopf auf die Seite und blickte auf mich herab.
»Warum mußt du immer alles verderben?« wollte er wissen.
»Ich habe nichts verdorben.«
Er senkte die Lampe. Ich drehte wieder den Kopf, doch er konnte schließlich mein Gesicht deutlich erkennen. Er lachte.
»Lustig, lustig, lustig, lustig«, sagte er. »Du kommst als der junge Lord Corwin und glaubst mich mit Familiengefühlen rühren zu können. Warum hast du nicht Brand oder Bleys genommen? Clarissas Kinder haben uns am besten gedient.«
Ich zuckte die Achseln
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