1342 - Die Totmacher
Karen Blaine schloss die Augen. Sie überlegte. Auf keinen Fall durfte sie lachen, denn ihrer Tochter war es mit dieser Aussage sehr ernst. Wendy gehörte zu den Kindern, die noch recht kindlich waren, einfach ihrem Alter entsprechend. Sie besaß noch kein Handy und auch keinen Computer, sie war jemand, die spielte und in dem großen Garten einen perfekten Platz dafür hatte. Wendy war jemand, die nachdenken konnte und sich auch ihre Gedanken machte.
Die Frau musste plötzlich lachen. Sie setzte sich zu Wendy aufs Bett. Mit beiden Armen umschlang sie den etwas pummeligen Körper ihrer Tochter.
»Kind, was hast du nur?« Karen lachte. »Nein, das ist unmöglich. Du brauchst doch keine Angst zu haben und…«
»Habe ich aber.«
»Vor dem Mann mit dem Beil im Kopf?«
»Ja.«
Karen musste sich räuspern. »Weißt du, was wir heute haben?«
»Ja. Freitag.«
»Auch das. Aber für manche Menschen ist die kommende Nacht eine ganz besondere. Du hast es selbst schon bei deinen Freundinnen erlebt und auch gesehen.«
»Halloween?«
»Genau, mein Schätzchen, Halloween. Die Leute verkleiden sich. Sie wollen durch die Straßen und Orte ziehen. Sie klingeln an den Haustüren. Sie wollen die Menschen erschrecken und ihnen klar machen, dass die Nacht der Geister bevorsteht. Der alte Brauch kommt immer stärker in Mode. Auch wir haben die Kürbisse im Garten stehen und…«
»Aber du hast kein Beil im Kopf, Ma.«
»Das stimmt allerdings.«
»Eben. Ich habe den gesehen. Er hat sich… ich meine, er hat sich auf unserem Grundstück herumgetrieben. Ich konnte ihn vom Fenster aus sehen und er hat mich sogar angegrinst.«
»Das war ein Spaß, Wendy. Es gibt die verrücktesten Verkleidungen. Die Leute denken sich immer etwas anderes aus. Vor zehn oder zwanzig Jahren war noch alles sehr harmlos. Der alte Kult ist mittlerweile zu einem Überkult geworden. Mit den Ursprüngen hat er kaum noch etwas zu tun. Das ist alles von den Staaten her zu uns herübergeschwappt wie eine gewaltige Welle, die nicht nur unser Land erfasst hat, sondern auch das übrige Europa. In Frankreich, in Deutschland, Italien und den Niederlanden, wo auch immer, man feiert einfach Halloween. Grusel-Karneval, wie auch immer. Es ist eben modern geworden. Die Menschen suchen Zerstreuung. Gefürchtet haben sie sich schon immer gern. Das ist ein Phänomen.«
Wendy schaute ihre Mutter an und hörte ihr zu. Als sie geendet hatte und lächelte, schüttelte das Mädchen den Kopf. Es wollte demonstrieren, das es ihr nicht glaubte.
»Hier ist es anders.«
»Wieso dass denn?«
»Echt.«
»Bitte?«
»Der war echt«, sprudelte es aus dem Mund des Mädchens hervor. »Da kannst du sagen, was du willst. Der ist echt gewesen. Ich weiß das. Ich… ich … kann das unterscheiden.«
»Und wieso?«
Aus ihren blauen Augen schaute Wendy der Mutter ins Gesicht.
»Keine Ahnung, ehrlich.«
Karen Blaine wusste nicht mehr, was sie noch sagen sollte.
»Wenn das so ist«, meinte sie schließlich, »wäre es besser, wenn du im Haus bleibst. Oder zumindest nah am Haus.«
Das Mädchen bekam große Augen. »Willst du denn weg?«
»Ja.«
»Wohin?«
»Nur in den Ort, um einzukaufen. Wenn ich das erledigt habe, komme ich so schnell wie möglich wieder zurück. Das verspreche ich dir, Wendy.«
»Ehrlich?«
»Großes Ehrenwort.«
Wendy senkte den Blick. Immer wenn sie so schaute, überlegte sie, das wusste Karen.
»Gut, dann bleibe ich hier. Vielleicht gehe ich auch nach draußen, ich weiß es noch nicht.«
»Gut, aber bleib auf dem Grundstück.«
»Mach ich.«
Karen stand auf. »Es kann länger dauern, weil ich noch deinen Vater abholen muss.«
Auf Wendys Gesicht erschien ein Strahlen. »Kommt er denn heute schon aus London zurück?«
»Ja, einen Tag früher.«
»Toll.«
»Das meine ich auch. Aber wie gesagt, du kannst mitgehen.«
Wendy dachte nach. »Nein«, sagte sie schließlich, »das mache ich nicht. Ich muss ja noch meine Maske fertig anmalen. Die Freundinnen wollen kommen. Sie sind auch alle verkleidet. Wenn es dunkel wird, wollen wir dann durchs Dorf ziehen.« Sie rutschte vom Bett und trat ans Fenster. »Das sieht komisch aus, da draußen.«
»Wieso?«
»Der Nebel.«
Karen Blaine lachte. »Nebel ist übertrieben.« Sie trat hinter ihre Tochter und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Das ist nur ein leichter Dunst. Da wir in der Nähe des Bachs leben, konzentriert er sich hier besonders.«
»Und was ist mit heute Abend?«
»Nun ja, da wird er
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