Die Prinzen von Amber
will, doch er weiß nicht, was. Er möchte es aber wissen, damit er Gefahr von Amber abwenden kann. Sobald er erkennt, daß wir endgültig verschwunden sind, weiß er, daß wir das Gewünschte bekommen haben, und wird nach uns suchen.«
Ganelon gähnte, reckte sich, trank sein Glas aus.
»Ja«, sagte er schließlich. »Wir sollten uns wirklich hinlegen, um für die große Hatz gerüstet zu sein. Nachdem Ihr mir nun einiges über Benedict anvertraut habt, finde ich jene andere Sache, die ich Euch noch eröffnen wollte, weniger überraschend – wenn ich auch nicht weniger beunruhigt bin.«
»Und das wäre ...?«
Er stand auf, ergriff vorsichtig die Flasche und deutete den Weg entlang.
»Wenn Ihr in dieser Richtung weitergeht«, sagte er, »vorbei an der Hecke, welche das Ende dieses Grundstücks kennzeichnet, und wenn Ihr dann noch etwa zweihundert Schritte in den angrenzenden Wald hineingeht, erreicht ihr zur Linken eine kleine Gruppe junger Bäume in einer überraschend auftauchenden Senke, etwa vier Fuß tiefer als der Weg. Dort unten befindet sich an frisches Grab – die Erde ist festgetrampelt und mit Blättern bestreut. Ich habe die Stelle vorhin gefunden, als ich dort ... äh ... dem Ruf der Natur folgen wollte.«
»Woher wißt Ihr, daß es sich um ein Grab handelt?«
Er lachte leise.
»Wenn in einem Loch Leichen liegen, nennt man das im allgemeinen so. Das Grab ist nicht sehr tief, und ich habe ein bißchen mit einem Ast darin herumgestochert. Vier Leichen liegen dort – drei Männer und eine Frau.«
»Wie lange sind sie schon tot?«
»Nicht sehr lange. Höchstens ein paar Tage.«
»Ihr habt nichts verändert?«
»Ich bin doch kein Dummkopf, Corwin!«
»Es tut mir leid. Aber Eure Entdeckung beunruhigt mich doch sehr, denn ich verstehe sie nicht.«
»Offensichtlich haben diese Leute Benedict verärgert, und er hat sich revanchiert.«
»Möglich. Wie sahen sie aus? Wie sind sie gestorben?«
»Nichts Besonderes zu berichten. Sie waren im mittleren Alter, und man hatte ihnen die Kehle durchgeschnitten – bis auf einen Burschen, der einen Stich in den Leib bekommen hat.«
»Seltsam. Ja, es ist gut, daß wir hier bald verschwinden. Wir haben schon genug eigene Sorgen und können auf die hiesigen Probleme gern verzichten!«
»Wahr gesprochen. Gehen wir zu Bett!«
»Geht ruhig schon vor. Ich bin noch nicht soweit.«
»Befolgt den eigenen Rat – legt Euch zur Ruhe«, sagte er und wandte sich wieder dem Haus zu. »Bleibt nicht etwa auf und macht Euch Sorgen.«
»Nein.«
»Also gute Nacht.«
»Bis morgen.«
Ich blickte ihm nach. Er hatte natürlich recht, doch ich war noch nicht bereit, mein Bewußtsein fahrenzulassen. Noch einmal ging ich meine Pläne durch, um sicherzugehen, daß ich nichts übersehen hatte. Ich leerte das Glas und setzte es auf die Bank. Dann stand ich auf und schlenderte herum, wobei Tabakrauch meinen Kopf umwölkte. Mondlicht fiel herab, und die Morgendämmerung war meiner Schätzung nach noch ein paar Stunden entfernt. Ich war fest entschlossen, den Rest der Nacht im Freien zu verbringen, und hoffte ein passendes Plätzchen zu finden.
Natürlich schritt ich schließlich doch den Weg hinab zu der Gruppe junger Schößlinge. Dort stöberte ich ein bißchen herum und fand tatsächlich frische Erdspuren, aber ich hatte keine Lust, beim Mondenschein Leichen zu exhumieren, und war durchaus bereit, auf Ganelons Aussage hinsichtlich seiner Funde zu vertrauen. Ich bin mir gar nicht sicher, warum ich diese Stelle überhaupt aufsuchte. Vermutlich ein morbider Zug meines Unterbewußtseins. Allerdings wollte ich mich nicht gerade hier zum Schlafen niederlegen.
Dann begab ich mich in die Nordwestecke des Gartens und fand dort ein Eckchen, das vom Haus nicht eingesehen werden konnte. Hecken ragten hoch auf, das Gras war lang und weich und roch angenehm. Ich breitete meinen Mantel aus, setzte mich darauf und zog meine Stiefel aus. Dann schob ich die Füße ins Gras und seufzte.
Lange konnte es nicht mehr dauern. Durch die Schatten zu den Diamanten zu den Waffen nach Amber. Ich war unterwegs. Noch vor einem Jahr hatte ich hilflos in einer Zelle gelegen und war so oft zwischen Vernunft und Wahnsinn hin und her gependelt, daß ich die Grenze zwischen den beiden Zustandsformen förmlich ausradiert hatte. Inzwischen war ich wieder frei und bei Kräften, ich konnte sehen und hatte einen Plan. Ich war eine Gefahr, die sich von neuem bemerkbar zu machen suchte, eine größere Gefahr als je
Weitere Kostenlose Bücher