Die programmierten Musen
athletischen und mehr bücherbesessenen Kumpanen den Dreh schon finden würden. Und ganz wenige – wie etwa Heloise Ibsen – beschränkten ihren Ehrgeiz auf eine Karriere als Gewerkschaftsboß oder Verlagschef oder hofften auf sonst einen Vorteil oder zumindest Spaß aus dem Chaos nach dem Wortmaschinen-Massaker.
Die meisten Schriftsteller jedoch glaubten wirklich schreiben zu können – und zwar ganz große Romane! –, obwohl sie bisher überhaupt noch keine einschlägigen Erfahrungen gesammelt hatten. Entsprechend quälten sie sich jetzt.
Nach siebzehn Stunden schrieb Lafcadio Cervantes Proust langsam: »Schwankend, aufsteigend, sich immer schneller drehend, in immer größer werdenden Feuerkreisen sich emporschraubend …« und brach ab.
Gertrude Colette Sand nahm die Zungenspitze zwischen die Zähne und malte sorgfältig in Druckbuchstaben: »Ja, ja, ja, ja, JA!« sagte sie.
Wolfgang Friedrich von Wassermann stöhnte vor Weltschmerz und notierte sich: »Es war einmal …«
Und dabei blieb es.
Inzwischen ließ der Generalquartiermeister der Raummarine an die Versorgungsstelle Pluto den Befehl durchgeben, alle Taschenbücher und Hörbänder zu rationieren; seinem Funkspruch zufolge war damit zu rechnen, daß die nächste Sendung nur für drei Monate Lesestoff enthalte anstatt für vier Jahre.
Die Auslieferung neuer Titel an terranische Verkaufsstände wurde auf die Hälfte und schließlich auf zehn Prozent der ursprünglichen Mengen reduziert, um die kümmerlichen Bestände an geschriebenem, gedrucktem und noch nicht vertriebenem Material zu strecken. Hausfrauen, die pro Tag ein Buch zu lesen pflegten, riefen bei ihren Bürgermeistern und Abgeordneten an. Premierminister, die abends mit einer Kriminalgeschichte zu Bett gingen (und dabei oft kluge staatsmännische Einfälle hatten), verfolgten die Entwicklung mit versteckter Panik. Ein Dreizehnjähriger verübte Selbstmord, »weil Abenteuerstories mein einziges Vergnügen sind und es sie nun nicht mehr gibt«.
Fernsehprogramme und Filme mußten in entsprechendem Maße zurückgenommen werden, weil ihre Szenarios und Drehbücher von den gleichen teuren Wortmaschinen stammten wie die Bücher. Das neueste Unterhaltungsmedium, die Ekstase-aller-Sinne-Maschine, die bereits das Planungsstadium weit überschritten hatte, wurde auf unbestimmte Zeit ad acta gelegt.
Elektronik-Fachleute und Kybernetik-Ingenieure schätzten in vertraulichen Vorberichten, daß es zehn bis vierzehn Monate dauern konnte, bis eine einzige Wortmaschine wieder in Betrieb genommen war, und sie deuteten an, daß die weiteren Ermittlungen noch pessimistischer ausfallen mochten. Sie wiesen darauf hin, daß die ursprünglichen Wortmaschinen in allen Einzelheiten von fähigen Autoren justiert worden waren, deren psychoanalytische Tiefbefragung den Inhalt der Wortmaschinen-Gedächtnisbänke gestellt hatte – und wo waren solche Autoren noch zu finden? Sogar das fremdsprachige Ausland stützte sich mit seiner Literatur fast völlig auf maschinelle Übersetzungen angloamerikanischen Wortschmalzes.
Die selbstgefällige angloamerikanische Regierung machte sich zu spät klar, daß die Verleger zwar in die Knie gezwungen waren, daß sie jedoch bald ihre Angestellten entlassen mußten und auf keinen Fall die zwanzigtausend umgesiedelten Jugendlichen unterbringen konnten, die das volkswirtschaftliche Ministerium als Halbfachkräfte auf sie hatte loslassen wollen.
Noch schlimmer wog die Tatsache, daß die relativ gut funktionierende Volksgemeinschaft bald leiden würde unter dem Mangel an neuer literarischer Unterhaltung.
Die Regierung wandte sich an die Verleger, die Verleger an die Autoren – und beide flehten um neue Titel, unter denen sie zumindest die alten maschinellen Bücher noch einmal herausbringen konnten – obwohl die befragten Psychologen warnten, daß im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung diese aufschiebende Maßnahme nichts fruchten würde. Aus einem unbekannten Grund hinterließ ein maschinelles Buch, das beim ersten Lesen noch größtes Entzücken hervorrief, bei der erneuten Lektüre nur eine gereizte Nervosität.
Idealisten und andere Schwärmer verkündeten auch die Absicht, die literarischen Klassiker des zwanzigsten Jahrhunderts und noch primitiverer Perioden nachzudrucken – doch diese Pläne scheiterten an dem unwiderlegbaren Einwand, daß die von Kind auf an Wortschmalz gewöhnten Leser die nichtmaschinellen Bücher unsäglich langweilig und sogar gänzlich
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