Die programmierten Musen
Winden glichen, voller vierdimensional beständiger Subjekte und elektroverschweißter Bindeworte.
In Augenblick freute er sich ganz besonders auf zwei Dinge: zum einen wollte er für seine heutige Abendlektüre ein Taschenbuch auswählen und kaufen, zum anderen konnte er noch einmal seinen ersten eigenen Roman ausgestellt sehen, Losung Leidenschaft, der sich in erster Linie durch ein Mädchen auf dem Titel blatt auszeichnete, das sieben verschiedenfarbige Un terröcke ablegte – das volle Spektrum. Die Rückseite zeigte ein Stereobild des Autors in Freizeitjoppe vor einem angemessenen viktorianischen Hintergrund; er beugte sich gerade über ein schlankes, hübsches Mädchen mit einer Frisur voller fußlanger Haarnadeln und einem Korsett, das aufreizend weit aufgeschnürt war. Das Bild trug die Unterschrift: »Gaspard de la Nuit bei der Materialsammlung für sein Magnum Opus.« Es schloß sich die folgende Schilderung an: »Gaspard de la Nuit ist ein französischer Tellerwäscher, der außerdem Erfahrungen als Raumschiffsteward, als Helfer eines Abtreibungsarztes (wobei er im geheimen Beweise für die Sûreté sammelte), als Taxi-Fahrer auf dem Montmartre, als Diener eines Grafen des ancien regime, als Holzfäller in den Bergen Französisch-Kanadas, als Student interplanetarischen Scheidungsrechts an der Sorbonne, als hugenottischer Missionar bei den schwarzen Marsianern und als Klavierspieler in einem maison de joie sammeln konnte. Unter Mes kalineinfluß hat er die skandalösen Abenteuer fünf be rüchtigter Pariser Zuhälter noch einmal durchlebt. Drei Jahre lang verbrachte er als Patient in Irrenhäu sern, wo er zweimal eine Schwester zu Tode zu prügeln versuchte. Als perfekter Taucher in der lebendigen Tradition seines Landsmannes Kapitän Cousteau hat er die sadistischen Unterwasser-Sexriten der venusianischen Meermenschen beobachtet. Gaspard de la Nuit schrieb Losung Leidenschaft in zweieindrittel Tagen auf einer brandneuen Raketen-Wortmeister mit einem Adverbi enschwunggerät und einer Fünfsekunden-Spannungsinjektion. Die Endfassung wurde von einem Super-Tuner hergestellt. ›Für hervorragende Leistung bei der Prosagestaltung‹ wurde de la Nuit vom Verlegerpräsidium mit einer dreinächtigen Reise in das exotische alte Untere Manhattan ausgezeichnet. Er sammelt inzwischen Material für seinen zweiten Roman, der, wie wir hören, Neckerei in Sünde heißen soll.«
Gaspard kannte den Text auswendig und wußte, daß er von A bis Z erlogen war mit der Ausnahme der kleinen Tatsache, daß das Produzieren des Sex-Gewächs sieben Schichten gedauert hatte. Er hatte noch nie die Erde verlassen, Paris besucht, einen anstrengenderen Sport als Tischtennis betrieben oder eine exotischere Stellung gehabt als im Büro, ebensowenig litt er an der geringsten berichtenswerten Psychose.
Was das »Materialsammeln« anging, so waren ihm von der Photositzung hauptsächlich die unangenehmen Stereolampen und das lesbische Modell in Erinnerung, das ständig wegen seines schlechten Atems gemäkelt und mit ihrem unruhigen schlanken Torso der derben Photographin deutliche Signale gegeben hatte. Natürlich gab es für ihn jetzt Heloise Ibsen, und Gaspard mußte zugeben, daß sie mindestens drei andere Frauen aufwog.
Ja, der Werbetext stimmte nicht, und Gaspard kannte ihn zudem auswendig – und trotzdem war es ein Vergnügen, die Zeilen hier am Stand noch einmal zu lesen und jede Nuance ihres widerlich-schmeichelnden Glanzes noch einmal nachzuerleben.
Als er seine Hand nach dem glitzernden Buch ausstreckte (das Mädchen auf dem Bild machte gerade Anstalten, ihren letzten violetten Unterrock abzulegen), fauchte von der Seite eine rote stinkende Flammenzunge herbei und verkohlte im Handumdrehen die Zwergenwelt der kleinen Puppe. Noch immer in seinem Traum befangen, der plötzlich zu einem Alptraum geworden schien, sprang Gaspard zurück. In drei Sekunden war der herrliche Bücherbaum zu einem zusammengeschrumpften Skelett mit faltigen schwarzen Früchten geworden. Die Flamme erlosch, und statt ih res Dröhnens ertönte lautes, hartes Gelächter. Gaspard kannte den dramatischen Alt. »Heloise!« rief er ungläubig.
Es gab keinen Zweifel; da stand seine Liebesmeisterin, die er zur Stärkung ihrer Libido im Bett wähnte – ihre kräftigen breiten Gesichtszüge waren in wilder Freude verzogen, ihr dunkles Haar wehte wie das einer Mänade, ihr toller Körper füllte üppig Jeans und Bluse, und in ihrer Rechten schwenkte sie eine
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