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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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Julie war so erschöpft, dass sie sich, Songe auf dem Schoß, in die vorderste Kirchenbank setzte, während Rhea vor dem Altar stand. Leda hatte sich respektvoll in den Chor zurückgezogen. In der Kirche war es still und nahezu dunkel, nur zwei Kandelaber spendeten flackerndes Licht.
    Plomion rutschte neben Julie. Offensichtlich hatte er bemerkt, wie schlecht es ihr ging, denn er tätschelte ihr unbeholfen den Rücken. Julie schloss die Augen. Sie konnte Rubens Leichnam kaum ansehen, das Gefühl des Verlusts zerriss sie beinahe, und sie dachte an die vielen Male, die sie ihren Bruder von oben herab behandelt oder mit ihm gestritten hatte. Nun würde sie das nie mehr gutmachen können.
    Als Rhea plötzlich ausrief: »Was geschieht mit ihm?«, schlug sie die Augen wieder auf. Zusammen mit Plomion ging sie zum Altar. Auch Fédéric, der an eine Säule gelehnt abgewartet hatte, kam nach vorne.
    »Seht nur«, sagte Rhea. »Wie ist das möglich?«
    Plomions Augen hinter der Brille wurden groß. Mit ungläubigem Staunen blickten sie alle auf Rubens Körper hinab.
    Unter seinem Rücken kamen dunkelgraue Federn hervor, Flügel, die sich erst über den Rand des Altars schoben und dann immer weiter wuchsen.
    »Aber er ist doch tot«, sagte Fédéric.
    »Ich kann mir das auch nicht erklären«, antwortete Plomion.
    Die Schwingen wuchsen weiter, wobei die Federn ein Geräusch machten, als rieben zwei Stoffbahnen aneinander. Sie hingen bereits beinahe bis zum Boden, waren aber kraftlos und schlaff. Ruben selbst zeigte keine Regung, nur das Wachstum der Flügel versetzte seinen Körper in leichte Bewegungen. Sein Hemd war von verkrustetem Blut ganz steif.
    Rhea wandte sich an Julie. »Du hast gesagt, er hat Kronos getötet. Wer ist zuerst gestorben?«
    »Ruben, glaube ich, obwohl er Cal zuerst verletzt hat.«
    »Das geschah mit derselben Waffe? An der bereits Cals eigenes Blut klebte?«
    Julie nickte. Sie verstand nicht, worauf Rhea hinauswollte, und dass Ruben auf einmal Flügel wuchsen, obwohl er tot war, machte ihr Angst. Es war, als wäre ein Teil von Cal in Ruben eingedrungen.
    »Genau so ist es«, sagte Rhea, und Julie wurde bewusst, dass ihre Mutter ihre Gedanken lesen konnte. »Mit Kronos’ Blut wurde dein Bruder zu Andipalos, denn bevor er starb, hatte Cal das Blut seiner Kinder vergossen, wie es die Prophezeiung vorhersagt.«
    »Also, für mich ist das zu hoch«, murmelte Fédéric.
    »Aber hätte er nicht auch mich töten müssen?«, fragte Julie.
    »Offensichtlich nicht«, sagte Plomion trocken.
    »Aber Ruben – er ist gestorben. Für nichts.« Julie betrachtete das bleiche Gesicht mit den geschlossenen Augen, das im Tod so friedlich wirkte.
    Rhea strich mit den Handflächen über den reglosen Körper.
    »Ich spüre etwas … Fetzen von Träumen, Reste von Gedanken«, murmelte sie. »Womit habt ihr mein Seelenglas zerstört? Mit einem Herzkristall?«
    Julie nickte.
    »Gib ihn mir, bitte.«
    Plomion wühlte in seiner Tasche, wickelte den Kristall aus seinem Taschentuch und reichte ihn Rhea.
    »Können wir ihn zurückholen?«, fragte Julie. Sie zitterte und fasste nach Fédérics Hand.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Rhea, riss Rubens Hemd auf und legte den Kristall auf seine Brust. Einige Zeit geschah gar nichts, dann begann der Kristall sich zu verändern, doch anders als bei Fédérics Heilung schmolz er nun. Auf Rubens Haut bildete sich eine klare Lache schimmernder Flüssigkeit, die einen Moment stand und dann in die Haut einsickerte.
    Rubens Brust hob sich, er atmete tief ein und öffnete die Augen.

2 1
    Mont St. Michel, August, 1789
    I m ersten Augenblick begriff er nicht, wo er sich befand. Gerade e ben hatte er den Erzengel auf sich zustürzen sehen, dann hatte der Schmerz alles andere ausgelöscht. Er blieb liegen und sah nach oben. Anscheinend befand er sich in der Kirche. Worauf lag er? Es fühlte sich an, als hätte man einen Gegenstand unter seinen Rücken geschoben. Er bewegte die Schultern und spürte ein Ziehen am Rücken.
    »Du bist wieder da!« Auf einmal war Julies Gesicht über ihm. Sie umschlang seinen Hals und drückte ihn so fest, dass er beinahe keine Luft mehr bekam.
    »War ich denn weg?«, fragte er. Seine Stimme klang fremd, viel rauer und tiefer, als er sie kannte.
    »O ja, das warst du!« Julie liefen Tränen über das Gesicht, gleichzeitig lächelte sie.
    »Um genau zu sein: Du warst tot, mein Junge.« Das war Plomion, der neben Julie erschien. »Aber deine Mutter hat dich

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