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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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die Tür zugeschlagen und den Riegel vorgeschoben.
    »Komm zurück!« Sie hämmerte mit der Faust gegen das Holz, aber Fédéric hielt ihren Arm fest. »Sie werden uns hören.« Seine Augen glänzten im Dämmerlicht, und Julie ließ die Faust sinken.
    »Dir wäre es wohl lieber, die Cherubim würden ihn erwischen«, rief sie.
    Unvermittelt ließ Fédéric ihr Handgelenk los, als hätte er sich daran verbrannt. »Hältst du mich für so erbärmlich? Ich kann das Quarkgesicht nicht leiden, aber was er da gerade tut, rettet uns vielleicht das Leben.«
    »Entschuldige«, flüsterte Julie, aber Fédéric sah sie nicht mehr an und lehnte sich an die Bretterwand.
    Julie hätte sich einen Finger abschneiden mögen, hätte sie damit ihre Worte zurücknehmen können. Wie kam sie dazu, solche Dinge zu sagen? Wenn hier jemand erbärmlich war, dann sie. Sie kauerte sich in eine Ecke des niedrigen Stalls, umdrängt von neugierigen Ziegen, die sie mit weichen Mäulern anstießen und an ihrem Rock knabberten. Der Geruch war betäubend, zumal nur durch wenige Ritzen zwischen den Wandbrettern Licht und Luft hereinkamen.
    Draußen war es still. Kein Flügelrauschen, kein Rütteln an der Tür. War Nicolas den Cherubim entkommen? Es stimmte, dass er ihre Angreifer am besten kannte und wusste, wie sie sich verhielten, aber einer ganzen Gruppe der geflügelten Ungeheuer war auch er kaum gewachsen. Einen einzelnen Menschen würden sie mühelos einholen – und mochte er noch so schnell rennen.
    Julie fragte sich, woher Nicolas den Mut nahm, den Cherubim zu trotzen. Nur ihretwegen? Oder trieb ihn der Hass auf seine Mutter an, Rheas Kinder zu retten? Hasste er seine Mutter so sehr, dass er bereit war, dafür sein Leben zu opfern?
    Die andauernde Stille machte ihr Angst. Es war, als könnte jeden Moment etwas Furchtbares geschehen. Nur Songes warmer Körper in ihrem Arm half ihr, die Angst in Schach zu halten.
    Soll ich mich bei Fédéric entschuldigen?, fragte sie stumm.
    Songe schnurrte, als Julie sie hinter dem linken Ohr kraulte.
    Lass ihm etwas Zeit, erst dann wird er deine Entschuldigung auch annehmen können.
    Julie rieb sich die Augen, die brannten, als hätte sie seit Wochen nicht geschlafen. Die Verantwortung für diese ganze Sache wächst mir über den Kopf, Songe.
    Wer hat von dir verlangt, sie zu übernehmen? Hätte sie gekonnt, hätte Songe in diesem Moment wohl gelächelt.
    Fédéric hatte den Kopf gegen die Wand gelehnt und wich Julies Blick aus. Mechanisch strich er einer braunen Ziege mit hängenden Ohren über den Kopf, die an seinem Ärmel knabberte. Julie wäre gerne zu ihm gekrochen, aber sie wusste, dass er sich erst beruhigen musste, deshalb rutschte sie an Rubens Seite.
    »Es tut mir leid, was ich vorhin zu dir gesagt habe«, wisperte sie. »Du hast dem verletzten Mann das Leben gerettet.«
    Ruben zerfaserte einen Strohhalm, bevor er antwortete. »Ich war dumm, Nicolas hatte recht. Aber ich musste ihm helfen.«
    »Wir müssen beide lernen, unsere Kräfte zu kontrollieren.«
    Julie zog das Amulett aus ihrem Ausschnitt und betrachtete es im schwachen Licht.
    »Es sieht ein wenig anders aus als meines.«
    Ruben holte sein Amulett ebenfalls hervor und hielt es neben das seiner Schwester. Die beiden Steine glommen dunkel. Tatsächlich waren sie unterschiedlich geformt: Rubens Amulett hatte an einer Seite eine sichelförmige Einkerbung, Julies eine Ausbuchtung.
    »Sieh mal, sie passen zusammen«, flüsterte Julie.
    Als sich die beiden Amulette einander näherten, wurde das Licht in ihrem Inneren stärker und bildete, als der Abstand zwischen den Steinen geringer wurde, plötzlich eine leuchtende Verbindung. Julie und Ruben waren wie gebannt von dem blauen Schein, der auf ihre Gesichter fiel. Jetzt berührten die Steine sich beinahe, das Leuchten wurde stärker. Julie sah nur noch das Licht, es schien sie in das Amulett hineinzusaugen. Es war, als zögen die beiden Steine einander an, und Julie wusste, dass etwas Ungeheuerliches geschehen würde, sobald sie sich berührten.
    Unvermittelt spürte sie einen scharfen Schmerz auf dem Handrücken. Sie schrie auf und ließ das Amulett fallen. Das Licht erlosch. Einige Augenblicke sah Julie nichts, dann bemerkte sie die blutigen Spuren auf ihrer Hand.
    Songe hatte sie gekratzt.
    »Warum hast du das getan?«
    In den Steinen liegt viel Magie. Es ist gefährlich, sie zusammenzufügen.
    »Das hättest du auch vorher sagen können!« Julie saugte an ihrer Haut, um den Schmerz zu

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