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Die Prophezeiung der Steine

Die Prophezeiung der Steine

Titel: Die Prophezeiung der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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Überall war Blut. Sie rümpfte die Nase, machte jedoch weiter. Es war ein gutes, winterdickes Fell, und es an sich zu nehmen verlieh dem Tod des Wolfs einen Zweck, statt dass dieser einfach nur den Verlust des Lebens darstellte. Sie schnitt das Fell am unteren Ende seines Schädels ab. Wenn der Kopf noch daran hing, war es mehr wert, aber Bramble hatte das Gerben samt Tierkopf immer schon als eine Art Demütigung empfunden.
    Eigentlich hätte sie den Tierkörper gern den Krähen und
Füchsen überlassen, sie wollte jedoch nicht, dass die Männer des Kriegsherrn ihn fanden, falls sie später noch einmal auf die Suche nach dem Fell gingen. Sollte der Blonde doch glauben, er habe ihn verfehlt. Sie zerrte den Tierkörper auf einen Felsvorsprung und häufte Steine darauf. So würde er wenigstens für die Ameisen und Würmer ein Festmahl abgeben.
    Sie wusch das Blut von ihrem Körper und von dem Fell ab, zog sich wieder an, schnürte das Fell zusammen und legte es sich auf die Schulter. Es lastete schwer auf ihr, doch sie konnte es tragen und machte sich mit ihrer Last auf den Heimweg.
    Der Pfad verlief durch den dunklen Ulmen- und Kiefernwald, und normalerweise hätte sie dort verweilt, um die frühlingsgrünen Blätter zu bewundern, die zu knospen begannen, hätte den weißrückigen Spechten gelauscht, die hektisch nach Nahrung suchten. Sie hatte beobachtet, wie ein Paar rotbrüstiger Schnäpper ein Nest baute, doch heute ging sie achtlos daran vorbei, legte jedoch eine Pause ein, um wilden Thymian und andere Kräuter zu sammeln und eine ihrer Schlingen zu überprüfen. Sie fand ein Kaninchen, das nach dem Winter dünn war, aber genug für einen Eintopf hergeben würde und ein noch dichtes Winterfell hatte. Während sie die Schlinge neu auslegte, schweiften ihre Gedanken ab.
    Der Wald gehörte angeblich zum Herrschaftsbereich des Kriegsherrn, war traditionell jedoch Jagd- oder Weidegrund für verschiedene Gruppen Menschen, von Nahrungssuchenden wie Bramble bis hin zu Köhlern, Brennholzsammlern, Stuhlmachern, Weidenkorbmachern, Schweinebauern und Holzfällern. Es geschah selten, dass Bramble im Wald niemandem begegnete; je nach Jahreszeit sah sie mitunter so viele Menschen wie sonst nur auf der Dorfstraße. Es war
einfach Pech, dass sie heute die Männer des Kriegsherrn gesehen hatte.
    In der Nähe der Wegscheide gleich vor Wooding kam sie aus dem Wald heraus und stellte fest, dass es nicht bloß Pech gewesen war. Es hatte heute eine Hinrichtung gegeben.
    In ihrem Dorf Wooding gab es eine Menge Hinrichtungen, weil es auf dem direkten Weg von Carlion zur Festung des Kriegsherrn bei Thornhill lag. Seit Jahrhunderten hatten die Kriegsherren der Südlichen Domäne die Wegscheide gleich vor Wooding als Stätte ihrer Bestrafungen genutzt. Wenn der Kriegsherr gnädig gestimmt war, wurde hier ein Schafott errichtet. Wenn nicht, dann war es eine Steinpresse, eine feste Holzkiste, etwa so groß wie ein Sarg, aber tiefer als dieser, in welcher der Verurteilte mit schweren Steinen überhäuft wurde, bis ihm die Knochen brachen und er langsam erstickte.
    Heute hatten sie die Steinpresse benutzt. Aus den Ecken der Kiste drang Blut. Im letzten Stadium des Erdrücktwerdens bluteten die Verurteilten häufig aus Nase und Mund. Bramble verlangsamte ihren Schritt, als sie an der Stätte der Bestrafung vorbeikam. Wollte sie wissen, wer dieses Mal getötet worden war? Wozu sollte das gut sein?
    Sie trat an die Kiste heran und schaute hinein. Den Göttern sei Dank war es niemand, den sie kannte. Es war ein Fremder, die Domäne war groß, und Verbrecher wurden von weither zum Kriegsherrn gebracht. Dann schaute sie näher hin. Es war ein Fremder, aber noch ein Junge. Vierzehn, vielleicht. Ein Kind. Wahrscheinlich der »Respektlosigkeit gegenüber dem Kriegsherrn« oder etwas in dieser Art beschuldigt. Wie schon zuvor im Wald brannte ihr Herz erneut vor Zorn, Entrüstung und Mitleid. Sie musste darauf achten, dass sie am kommenden Morgen nicht in der Nähe
des Dorfes sein würde, wenn die Männer des Kriegsherrn zusammenliefen, um zu sehen, wie die Leiche des Jungen aus der Kiste gehoben und an den Pranger gestellt wurde. Sie würde es kaum über sich bringen, dem Kriegsherrn wegen dieser Hinrichtung zu applaudieren und zuzujubeln, wie es von den Dorfbewohnern erwartet wurde.
    Manche taten dies bereitwillig. Es gab immer ein paar, die sich freuten, wenn jemand getötet wurde, zum Beispiel die Krähen, die in den Bäumen nahe dem Galgen nisteten

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