Die Prophezeiung der Steine
»Trine wird sich um mich kümmern«, sagte sie. »Reite du voraus, dann wird sie schon folgen.«
Martine blieb hinter Bramble und ritt neben ihr, wenn der Pfad breit genug war. Sie bewegten sich durch goldgrüne Pappelhaine und spärlich bewachsene Felder, deren dünne Mutterbodenschicht mit Granitblöcken übersät war.
Als Martine auf einen Schwarzwurzbusch stieß, bestand sie darauf, dass sie anhielten, um Brambles Arm zu waschen, und sie legte zerdrückte Blätter darauf. Der Arm sah nicht gut aus. Unter der Haut hatte sich gelber Eiter gebildet, und der ganze Arm war rot und geschwollen.
»Wenn wir hier nicht zu einem Heiler gehen«, sagte Martine stirnrunzelnd, »ist es das Beste, wenn wir so schnell wie möglich die Quelle der Geheimnisse aufsuchen. Sie soll eine Heilerin sein.«
Bramble kicherte trotz ihrer Schmerzen. »Tja, und wenn sie es nicht ist, gibt es in Oakmere bestimmt ein Dutzend andere, die es von sich behaupten.«
Martine lächelte. »Da könntest du recht haben. Menschenmengen ziehen Quacksalber an.«
»Gehen wir«, sagte Ash ungeduldig und schaute sich wachsam um.
Unter großen Schmerzen bestieg Bramble Trine.
Als sie das Ende des Tals erreichten, war es später Nachmittag. Um über den Pass in die Last Domain zu gelangen, mussten sie auf die Hauptstraße, und Ash bestand darauf,
dass Martine die Führung übernahm, damit er ihnen, falls nötig, den Rücken freihalten konnte.
Nach dem, was am Morgen geschehen war, war er immer noch nervös; zwar wollte er nicht darüber nachdenken, doch er ging den Kampf immer wieder durch. Hätte er es vermeiden können, diesen Mann, Sully, zu töten? Hätte er eine andere Möglichkeit gehabt? Hatte es einen Moment gegeben, in dem er sich dazu entschieden hatte, zu töten? Er konnte sich nicht an einen bestimmten Moment erinnern. Er erinnerte sich lediglich daran, dass ihn Bewegung, Handlung und Instinkt beherrscht hatten. Aber es war ein eingeübter Instinkt, und er erkannte, dass er dazu ausgebildet worden war. Nicht zu schützen, sondern zu töten.
Er verdrängte den Gedanken. Er hatte Bramble und sich selbst beschützt. Sully hätte sie beide getötet. Er, Ash, hatte das Recht dazu gehabt, zu … Hatte denn überhaupt irgendjemand das Recht, zu töten? Diese Frage vermochte er nicht zu beantworten. Er verwarf den Gedanken wieder und konzentrierte sich stattdessen auf die zunehmend schwierigere Aufgabe, auf dem Pferd zu bleiben, während sich seine Beine anfühlten wie Pudding.
Während sie die Straße zum Pass hinaufritten, kam ihnen ein Bauer mit einem Ochsenkarren voller Äpfel entgegen.
»Tag«, sagte er freundlich, mehr an die Pferde als an ihre Reiter gerichtet. Dann schaute er noch einmal hin und sah sie böse an. »Wanderer haben nichts auf Pferden zu suchen«, sagte er und spuckte ihnen hinterher.
»Tag«, erwiderte Ash.
Er wollte das Tempo verschärfen, doch Cam hatte ihre eigenen Vorstellungen davon, wie schnell man einen Hügel erklomm, und Ash wusste nicht, wie er sie eines Besseren hätte belehren können.
Als sie sich zu dem Pass hinaufgeschlängelt hatten, ging
die Sonne unter. Der Pass bestand aus einem flachen Bergsattel, der zu beiden Seiten messerscharf war. Sie blieben einen Augenblick stehen und schauten hinab auf die lange Straße vor ihnen. In der Ferne sahen sie ein Dorf, das an einem Fluss lag.
»Oakmere«, sagte Martine und lächelte. »Nicht weit.«
»Lassen wir die Pferde ausruhen«, sagte Bramble. Ihre Stimme klang schwach.
Martine stieg stöhnend ab, streckte sich dann und ging zu ihr hinüber. Statt Bramble herunterzuhelfen, untersuchte sie lediglich ihren Arm und gab ihr Wasser.
Ash stieg von Cam ab und begriff nun am eigenen Leib, warum Martine gestöhnt hatte. Jeder Muskel in seinen Beinen und vor allem in seinem Rücken war zum Zerreißen gespannt und sehnte sich nach Entspannung. Und was das Wundscheuern anging … Er würde warten, bis er irgendwo ungestört war, um sich dann ein Bild davon zu machen, wie schlimm es aussah.
»Reite schneller«, sagte Martine verstohlen zu Ash, als sie wieder aufstiegen. »Sie verliert den Arm, wenn er nicht bald behandelt wird.«
»Nächste Station, Quelle der Geheimnisse«, sagte Ash vergnügt zu Bramble.
Sie bemühte sich, ihm ein Lächeln zu schenken. »Das soll jetzt wohl beruhigend sein, oder?«
Der Pfad war so breit, dass sie den langen Hang Seite an Seite hinabritten.
Die Quelle der Geheimnisse
»Sie sind schon fast hier, die drei«, sagte Safred zu
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