Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
ihn im Blickfeld und schaltet das Mikro wieder ein. »Ja«, sagt er mit fester Stimme, »wir bringen es hinter uns, Melanie, sobald du die Wahrheit sagst – die reine Wahrheit.«
»Wie bitte?«
»Du hast mich verstanden. Erklär uns, warum du plötzlich ein Geständnis abgelegt hast.«
» AJ «, sagt Melanie mit einem vielsagenden Blick auf Isaac, »musst du mir diese Frage stellen? Ist das nicht klar ?«
Im Mitarbeiterraum ist Linda wütend herumgefahren und streckt fassungslos die Arme aus. Aber der Commander hat sich noch nicht gerührt. Er steht mit verschränkten Armen da und beobachtet AJ mit Adleraugen.
»Melanie«, fährt AJ eilig fort, bevor der Commander es sich anders überlegen kann, »was ich nicht verstehe, ist – wie kommt Isaac überhaupt auf diese Idee? Wieso lässt er sich so etwas einfallen?«
»Du machst Witze, ja?«
»Sag es mir.«
Melanies Blick huscht von Isaac zur Kamera und wieder zurück. Sie drückt Zehen und Knie zusammen wie ein Kind, das nicht weiß, was es antworten soll.
»Melanie?«
»AJ, ich habe es doch gesagt. Isaac denkt es natürlich, weil ich es getan habe.« Sie hält das Kinn gesenkt und schaut fest in die Kamera, und ihre Message ist klar: Es ist ein Spiel, das wir hier spielen – und jetzt übernimm um Gottes willen deine Rolle . »Ich habe sie in den Tod getrieben. Ich habe sie verletzt, und ich habe versucht, es als Selbstverletzung darzustellen, und ich …«
»Sag es noch einmal«, unterbricht AJ sie. »Aber diesmal ohne Schauspielerei.«
Melanie klappt ungläubig den Mund auf.
»AJ«, sagt sie in gekränktem Ton, »sag mir, warum holst du mich nicht hier raus?«
»Sag du mir«, antwortet er, »warum spielst du dieses Theater?«
Sie stockt. Dann verhärtet sich ihr Gesicht. Ihre Füße wenden sich nach außen, sie lehnt sich zurück und lässt die Hände heruntersinken. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Doch, das weißt du.«
»Du bist wahnsinnig. Ist noch jemand da draußen? Wer ist der Verantwortliche? Wo ist Linda?«
AJ wirft einen Blick hinüber zu Linda, die den Commander anfunkelt. Doch der steht mit dem Rücken zur Wand und presst versonnen mit den Fingern einer Hand die Lippen zusammen.
»Ich will wissen, wer da draußen die Leitung hat«, sagt Melanie. »Er soll mit mir sprechen. Oder du holst Linda zurück.«
Der Commander trommelt nachdenklich mit den Fingerspitzen an seinen Mund. Schließlich stößt er sich von der Wand ab, kommt zum Tisch und beugt sich über das Mikrofon. »Ja, Melanie, ich bin der verantwortliche Polizist hier, der Commander bei diesem Einsatz. Und «, fährt er fort, ehe sie etwas sagen kann, »ich höre zu. Sie sind an der Reihe.«
» Was …«
»Du hast ihn gehört«, sagt AJ. »Jetzt beantworte meine Frage.«
Es bleibt lange still. Melanies Augen werden von Sekunde zu Sekunde größer. Sie ist anscheinend fassungslos. Niemand im Kontrollraum regt sich. Lindas Eieruhr dreht sich.
Schließlich streicht Melanie sich das Haar aus dem Gesicht. Sie holt tief Luft. »Manchmal, AJ«, sagt sie leise, »manchmal, wenn wir jemanden verlieren – wie du deine Mutter verloren hast –, manchmal schauen wir uns um und sehen nichts als Schmerz.«
AJ wird es eiskalt. »Das hier hat nichts mit meiner Mutter zu tun.«
»Manchmal, wenn jemand den Schmerz und das Schuldbewusstsein mit sich herumträgt, wie du es wegen deiner Mutter empfindest, dann überträgt er es auch auf andere. Wenn wir uns schuldig fühlen, ist es so leicht anzunehmen, dass andere es ebenfalls tun müssen. Vielleicht ist diese Schuld da, weil … tja, warum? Weil du insgeheim wolltest , dass sie stirbt? Vielleicht warst du ein bisschen unachtsam mit ihren Medika…«
»Melanie …«
» Unachtsam mit ihren Medikamenten. Nur du …«
»Sei still, bitte.«
» Nur du kennst die Wahrheit, AJ. Nur du weißt, was wirklich passiert ist. Aber eins steht fest: Du hast die Schuld, die du am Tod deiner Mutter empfindest, auf mich übertragen, und darum tust du, was du jetzt tust.« Sie schüttelt den Kopf und beißt sich auf die Unterlippe. »Es tut mir so leid. Ich glaube, du weißt, was ich dir schon seit einer Weile zu sagen versuche.«
AJ schweigt einen Moment lang. Er ist beeindruckt. Sie ist gut – aber doch nicht gut genug. Sie ist eine Cartoon-Schurkin.
»Ich bin nicht sicher, dass ich es weiß«, antwortet er. »Was versuchst du mir zu sagen?«
»Darauf antworte ich nicht gern. Vor all den Leuten. Ich kann etwas so Schmerzhaftes in einer
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