Die Puppenmacherin: Psychothriller (German Edition)
ihn.
Eine Woche war vergangen, seit sie Merten Feil verhaftet hatten, doch er war längst nicht zur Ruhe gekommen. Er schlief schlecht, in seinen Alpträumen liefen wieder und wieder die Szenen im Spreepark vor ihm ab, in Endlosschleife.
Er stürzte aus fünfundvierzig Metern Höhe in den Abgrund und erwachte schweißgebadet.
In den sieben Tagen hatte er mehrmals im Kriseninterventionszentrum der Urbanklinik angerufen, um sich nach dem Zustand von Josephin Maurer zu erkundigen, doch jedes Mal hatte man ihm gesagt, sie sei noch nicht in der Lage, Besuch zu empfangen.
Heute würde man ihn endlich zu ihr vorlassen.
Er war nervös, als er den Flur entlangging. In welcher Verfassung würde sie sein? Er musste mit dem Schlimmsten rechnen. Schon die Ereignisse im letzten Sommer waren die Hölle für sie gewesen, aber was in diesem Jahr über sie hereingebrochen war, übertraf jegliche Vorstellungskraft.
Wie belastbar war ein Mensch? Was hielt er aus? Wie viel Wahnsinn und Sadismus vertrug eigentlich diese Welt?
Auf der Station fragte er nach Josephin, und die Krankenschwester sagte ihm, dass sie bereits im Aufenthaltsraum auf ihn warte.
Die Fenster führten zum Kanal hinaus. An den Wänden hingen gerahmte Zeichnungen, vermutlich von den Patienten. Man schien nur diejenigen ausgewählt zu haben, die beruhigende Motive hatten, Landschaften, Bäume, aber auch ein paar figürliche Darstellungen waren darunter, ernste Gesichter mit großen Augen.
Sie saß mit dem Rücken zu ihm. Die Sonnenstrahlen, die zum Fenster hereinfielen, brachten ihr brünettes Haar zum Leuchten.
Das war aber schon alles, was hell und freundlich an ihr wirkte. Ihre Schultern waren eingesunken, und je näher er trat, desto deutlicher spürte er die Aura von Angst und Hoffnungslosigkeit, die sie umgab.
Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu ihr.
Es brauchte einige Zeit, bis sie den Kopf wandte und ihn ansah. Ihre Bewegungen waren extrem verlangsamt, vielleicht lag das an den Medikamenten, die man ihr gab.
Er begrüßte sie leise und nickte ihr zu.
Sie war blass, ihre Augen waren blutunterlaufen. Dunkle Ringe hatten sich darunter gebildet.
Die Hände hatte sie im Schoß verschränkt.
Sie schauten sich lange wortlos an. Sie schien ihm etwas sagen zu wollen, doch kein Laut kam von ihren Lippen.
Er griff nach ihren Händen und drückte sie.
»Josephin«, murmelte er, »es tut mir so schrecklich leid, dass ich Ihnen nicht früher helfen konnte. Ich kam verdammt noch mal zu spät.«
Sie rührte sich nicht.
»Es ist davon auszugehen, dass Merten Feil zu einer lebenslänglichen Haftstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt wird. Ich weiß, das ist ein schwacher Trost für Sie, aber er wird nie wieder in Freiheit sein. Nie wieder wird er einem Menschen etwas antun können. Auch wenn man ihn in der Psychiatrie unterbringt – Sie sind von nun an vor ihm in Sicherheit.«
Sie sah ihn weiter an, aber ihre Augen waren glanzlos und leer.
Schließlich fasste er sich ein Herz und umarmte sie.
In diesem Moment schien sich etwas in ihr zu lösen, sie weinte zwar nicht, aber ihr Atem ging stoßweise, und sie brachte leise Töne hervor, die an das Lallen eines kleines Kindes erinnerten.
»Das Karussell«, sagte sie. »Nach der Hypnose habe ich davon geträumt. Es ist so viele Jahre her, wie konnte ich ahnen, dass dieser Mensch –.«
Sie brach ab.
Er hoffte inständig, dass sie eines Tages den Schmerz herauslassen könnte. Es wäre nicht gut, ihn tief in sich zu verschließen.
Sie saßen lange Zeit schweigend da.
Schließlich blickte sie auf und sagte leise: »Ich will nicht mehr leben.«
Trojan erschrak.
»Bitte sagen Sie das nicht.«
»Aber was hat es denn noch für einen Sinn? Karen ist tot und Milan auch. Dieses Monster hat mir alles genommen.«
Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte.
Nach einer Weile fragte er: »War denn Ihre Mutter schon hier?«
»Sie ist unterwegs.«
»Und Ihr Vater?«
Sie nickte kaum merklich.
»Er hat versprochen, öfter in der Stadt zu sein, um sich um mich zu kümmern.«
»Gut.«
»Nichts ist gut, Herr Trojan. Sie haben mich gerettet, ja, dafür muss ich Ihnen danken. Ich bin am Leben, aber was hier vor Ihnen sitzt, ist bloß ein hohler Körper. In mir ist nichts mehr, keine Freude, keine Wärme, kein Licht.«
Endlich brachen die Tränen aus ihr heraus.
Im Moment gab es keinen Trost für sie, das wusste er. Er war zu spät gekommen. Wenigstens Milan hätte er retten
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