Die Rache Der Nibelungen
dessen, was einmal Xandria gewesen war, auf den Boden. Dann ging er zu einem Trog und tauchte den Kopf hinein, als müsse er sich durch das kalte Wasser versichern, wieder daheim zu sein.
»Siegfried ...«, begann Brunhilde vorsichtig.
»Du solltest gehen«, sagte er. »In meinem Dunstkreis regiert der Tod, und in der Zukunft wird er mein ständiger Begleiter sein.«
Es war nicht mehr die Stimme eines Mannes, nicht die eines Kriegers – Siegfried sprach im Ton des gerechten Zorns, der nichts Menschliches mehr hatte. Nothung auf seinem Rücken war nun ein Richtschwert und jedes seiner Worte ein Urteil.
»Die Entscheidung, nach Utgard zu gehen, trafst du selbst«, erinnerte ihn Brunhilde sanft. »Ebenso die Reise nach Ballova, der Angriff auf Xanten, der Kampf um Islands Thron.«
»An Schnüren geführt wurde ich«, knurrte Siegfried. »Du, die Götter, die Nibelungen – mit dem Wort Schicksal habt ihr mich gelockt. Und wie ein Kind bin ich gefolgt.«
»So ist das Leben nicht gemacht«, widersprach Brunhilde.
»Lass mich für einen Tag allein«, bat Siegfried, unfähig, jetzt das Wesen der Welt zu diskutieren. »Gib mir den Tag mit meiner Liebsten in der Heimat.«
Skeptisch sah Brunhilde auf das Spottbild dessen, was einst eine Frau und Herrscherin gewesen war, aber sie nickte. »Ich komme wieder. Und nicht, um mich an deinem Leid zu laben.«
Sie bestieg Hjordan, tätschelte ihm dankbar den Hals und löste sich in der dünnen Nachtluft auf.
Siegfried hingegen wusch sich weiter, fand in einer Kammer der Burg frische Kleider und zog sie Xandria über, die sich in ihrer Lethargie nicht wehrte. Aus einer Schatulle barg er einen schlichten Ring, den er mit dem Versprechen ehelicher Treue bis in den Tod ihr an den dürren Finger steckte.
So verbrachten sie eine letzte Nacht ohne Schlaf – als König und Königin von Xanten. Er mit gebrochenem Herzen, sie mit gebrochenem Geist, das Land mit gebrochener Seele.
Und als der Morgen kam und die Sonne frühe Strahlen über den Rand der Midgardscheibe schickte, nahm Siegfried seine Xandria mit auf den großen Balkon. Er zeigte ihr den Horizont, ließ sie den frischen Duft des Waldes riechen, und als eine letzte Träne ihr erstes Lächeln fand, da nahm er sie in seine starken Arme, wo sie aufhörte zu zittern.
Er drückte so lange, bis kein Atem mehr aus ihren Lungen kam und die Beine der Königin erschlafften.
Als Brunhilde nach Xanten zurückkehrte, brannte der Leib Xandrias auf dem Hof bereits, wie es alte nordische Sitte war. Er hätte sie gerne nach christlichem Brauch begraben, doch kannte er die Riten nicht genau.
Die Walküre stand ohne Worte die Stunden neben Siegfried, bis die Asche kalt war. »Ich habe mit Odin gesprochen. Nie hätte er gedacht, dass es dir gelingt, die Königin zu finden. Er hat dich unterschätzt – und deine Liebe.«
»Ich hoffe, sein grausames Spiel hat ihn wenigstens amüsiert«, murmelte Siegfried.
»Er bietet dir den Platz an seiner Seite«, fuhr Brunhilde fort. »Du hast dich mehr als aufrechter Krieger gezeigt als alles, was in den letzten Jahren die Regenbogenbrücke überquert hat. Selbst dein Vater hat nicht solchen Edelmut bewiesen.«
»Muss ich nicht sterben für den Sitz in Walhall?«, fragte der Prinz, und Wut lag in seiner Stimme.
Brunhilde schüttelte den Kopf. »Ich nehme dich mit. Gleich jetzt. Kein Leid mehr für den, der mehr gelitten hat als alle anderen.«
Siegfried sagte nichts.
Brunhilde sah auf die verbrannten Reste der Königin inmitten des verwüsteten Reiches. »Was hält dich noch? Die Franken werden Xanten bald nehmen, und wenn sie großzügig sind, überlebt es gerade mal als Name einer Stadt.«
»Das Reich schert mich nicht mehr«, gab Siegfried zur Antwort. »So wenig wie mein Erbe. Doch ich trage Nothung, und den Fluch der Nibelungen. Das ist eine Rechnung, die noch beglichen werden muss.«
Die Walküre verzweifelte am Sohn des Mannes, den sie einst geliebt hatte. »Aber verstehst du nicht? Genau das ist es, was sie wollen. Das Rad weiterdrehen, den Ring des Schicksals niemals enden lassen. Odin bietet dir an seiner Seite das Ende aller Not. Nicht nur für dich – für alle Reiche, die darin gebunden sind.«
Im Wind meinte Siegfried, die Geistwesen zu hören, wie sie ihn verhöhnten, ihn zum Kampf bis in die Ewigkeit forderten. »Solange die Nibelungen sind, ist kein Frieden in der Welt. Sie säen nichts als Niedertracht, die ihnen reiche Ernte bringt. Da sind sie wie die Götter, deren
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