Die Rache Der Nibelungen
– auch von ihr wird noch zu sprechen sein – erzählte einst ihrem Bruder Gernot, der nun mein Mann ist, dass Siegfrieds Mutter Sieglinde bei der Geburt verstarb. So hatte es ihr Siegfried geschildert, und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Der Junge wuchs in der Schmiede beim alten Regin auf, lernte das Handwerk und jagte unermüdlich die Tiere des Waldes, mit bloßer Hand und großem Geschick. Das Schicksal machte ihn so schnell zum Mann, dass Regin kaum übersehen konnte, dass hier kein Schmied vor ihm stand, sondern ein Prinz. Ich weiß nicht, ob es Regin widerstrebte, Siegfried von seiner Herkunft zu erzählen. Wie dem auch sei, er zog mit ihm nicht nach Xanten, sondern in die entgegengesetzte Richtung, nach Burgund.
Von hier an kann ich in größerem Detail erzählen, denn fortan kenne ich die Geschichte aus erster Hand. Und wenn ich auch über die Jahre vieles verloren habe: mein Gedächtnis ist klar wie Bergwasser und hell wie Morgenlicht.
Er war sehr schön, der junge Siegfried, als er mit seinem Schmiedemeister an den Hof von Burgund kam. Hochgewachsen und von der Arbeit am Amboss muskulös, die blonden Haare in sanften Wellen auf die Schultern fallend, und in den Augen jenes begeisterte Verlangen, das bei den Männern Respekt, bei den Frauen Hingabe erzeugt. Hätte ich mein einsames Herz nicht damals schon an den schüchternen Prinzen Gernot verloren, so wäre es vermutlich stillgestanden beim Anblick des jungen Schmieds. Man nahm ihn und Regin freundlich auf, denn gute Waffen aus lohender Glut waren so nötig wie nie zuvor ...
Es war keine gute Zeit für Burgund. Seit Jahren kreiste das Biest Fafnir mit ledernen Schwingen über dem Land, verbrannte mit seinem Odem die Häuser, fraß die Kinder und zerbiss das Vieh. Keine Zahl Krieger, die auszog, den Drachen zu töten, war groß genug, und manche Helden großer Schlachten fielen geröstet in die feuchte Erde, ohne eine würdige Bestattung zu erhalten. Was das Monstrum von außen säte, blühte auch im Innern weiter: Das Volk lebte in Furcht, und der Respekt vor König Gundomar, der es nicht zu schützen wusste, sank von Tag zu Tag.
Diese Stelle mag so gut wie jede sein, um von meinem Vater zu erzählen. Hagen von Tronje, Ratgeber des Königs Gundomar. Ich würde ins Stocken geraten, bäte man mich, von seinen guten Seiten zu berichten. Seine Seele war finster, und die Hand, mit der er mich als Kind hielt, war nie anders als kalt. Er war ein Mann, dem Furcht so recht war wie Respekt und dessen scharfer Geist nur Verachtung für das weiche Leben bei Hofe besaß. Doch Hagen von Tronje war, was er war, und stolz darauf noch obendrein. Sein Leben hatte er dem Reich Burgund gewidmet, und niemals hörte ich den Vorwurf, dass er seine Pflicht vergessen hätte. Und so war sein Hass auf den Schmied Siegfried, dem die liebliche Prinzessin Kriemhild schnell ihr Herz geschenkt hatte, nicht der neidische Hass eines alten Mannes auf den jungen Widersacher. Es war der politische Hass eines Ratgebers, der das strahlende Licht seines Königs neben einer neuen Sonne erlöschen sah. Wie unschuldig Siegfried auch sein mochte – in den Augen meines Vaters war er ein Usurpator, der über die Liebe Kriemhilds nach dem Thron griff. Auch wenn er keinen Beweis dafür gebraucht hätte: Als Prinzessin Kriemhild dem Hunnenführer Etzel die Hand verweigerte und Burgund an den Rand des Abgrunds führte, bekam er ihn. Siegfried war in Hagens Augen das Verderben des Reiches.
Doch den Drachen zu bezwingen war wichtiger in diesen Tagen als die Ränkespiele bei Hofe. Um die Wertschätzung seiner Untertanen zurückzugewinnen, ritten König Gundomar, die Söhne Gunther und Giselher und zehn weitere Getreue in den Wald, um Fafnir zu stellen. Im Schloss blieb nur der empfindsame Gernot, dessen Hand nicht für das Schwert taugte und dessen Herz langsam für mich erwachte.
Bang wartete man bei Hofe auf die Rückkehr der Krieger, die nicht weniger als glorreich sein durfte. Doch der Morgen brachte nicht Ruhm, nur sprachloses Entsetzen: Der König war unter den Klauen der Bestie gefallen, ebenso Kronprinz Giselher. Mit seinem letzten Atem übergab Gundomar dem stillen Gunther die Krone. Burgund hatte einen neuen Herrscher – ein Herrscher, in dessen Reich niemand mehr vor die Tür zu treten wagte.
Gunther und Siegfried, so verschieden vom Stand, so gleich im reinen Herzen, wurden Freunde. Meinem Vater gefiel es nicht, dass der junge König einem Fremden Gehör schenkte. Und es
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