Ein Ring aus Asche
Kapitel 1
Clio
»H ier.« Ich schob die Kekse zu Thais hinüber. »B rösel die obendrauf. Das schmeckt gut.«
Thais griff nach ein paar Keksen und krümelte sie gehorsam über ihr Eis. Sie biss von einem ab und nickte. »L ecker.«
Für die nächsten zwei Minuten aßen wir unser Eis und taten so, als sei alles normal, bis wir schließlich zeitgleich die Löffel zur Seite legten und einander anstarrten.
»U nsterblich also«, sagte Thais.
»J a. Wenn wir ihnen das glauben wollen.« Plötzlich kam mir ein Gedanke. Schnell lief ich nach oben in mein Zimmer und zog ein altes Fotoalbum hervor. Ich brachte es nach unten und legte es zwischen uns auf den Küchentisch. Gemeinsam betrachteten Thais und ich die Bilderserie von mir, die mit mir als Baby anfing und bei meinem dritten Lebensjahr endete. Ich war wirklich ein hübsches Kind gewesen.
Nan– Petra– sah genauso aus wie heute. In siebzehn Jahren war sie kein bisschen gealtert. Und ich mit meiner rasiermesserscharfen Auffassungsgabe hatte das nie bemerkt. Sie war eben einfach immer nur Nan gewesen. Nach wie vor versuchte ich, die Tatsache zu verarbeiten, dass sie in Wirklichkeit so viel mehr war als das, was sie mir bislang hatte weismachen wollen.
»A lso«, sagte ich, während ich das Album seufzend schloss. »W as sie uns erzählt haben, stimmt aller Wahrscheinlichkeit nach. Zumindest das meiste.«
Thais nickte. »I ch bin echt bedient.«
Ich lachte kurz auf. »S o kann man es auch nennen.« Wieder seufzte ich. Ich hatte einen harten Sommer hinter mir, und bislang gab es keinen Anlass, zu hoffen, dass es irgendwie leichter werden würde.
»I ch meine das alles einfach«, sagte Thais. »Z willinge.« Sie deutete auf mich, dann auf sich selbst und fasste so in einer einzigen Geste die ganze Trennung-bei-der-Geburt-Geschichte zusammen. »L uc.« Sie schloss die Augen und atmete heftig aus. Das stand für unseren unsäglichen doppel-datenden, lügenden Bastard-Hexer-Freund. »H exen.« Langsam schüttelte sie den Kopf über die nicht minder unfassbare Angelegenheit, die da hieß »H erausfinden, dass man genau wie der Rest der Familie eine Hexe ist«.
»U nd dann noch die Möglichkeit, unsterblich zu werden«, sagte ich. »A ch ja, und die Tatsache, dass wir ein paarmal fast getötet worden sind.«
»E s waren zwei verrückte Monate«, fuhr Thais fort, was mich daran erinnerte, dass sie zusätzlich zu allem anderen diesen Sommer auch noch ihren Vater– unseren Vater– verloren hatte. Obwohl ich ihn nie gekannt hatte, fühlte ich immer noch so etwas wie Verlustgefühle in mir aufsteigen. Was musste sie dann erst durchgemacht haben? Ich konnte es mir kaum vorstellen.
»E ine ganz schöne Achterbahnfahrt«, stimmte ich zu.
»U nd was nun?«, fragte Thais. »E s ist einfach alles zu viel. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
Ich dachte einen Moment nach. Normalerweise kümmerte sich meine Nicht-Großmutter Petra um solche Dinge. Nan. Ich meine, ich hatte bislang immer gedacht, sie sei meine Großmutter. Zumindest hatte sie das behauptet. Sie hatte mich aufgezogen, nachdem meine Mutter bei meiner Geburt und der meiner Überraschungsschwester gestorben war. Wie sich herausgestellt hatte, war sie eine Vorfahrin von uns. Eine Ur-Großmutter, die vor so langer Zeit gelebt hatte, dass mir die »U rs« ausgingen. Sie hatte meine Schwester und meinen Vater vor mir verheimlicht. Ich hätte die beiden die ganze Zeit schon kennen können. Jetzt war er tot und meine Chance verpasst. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass Nan das getan hatte– welche Gründe sie auch gehabt haben mochte. Und ich hatte keine Chance bekommen, mit einer Schwester aufzuwachsen.
Im Moment war Nan wer weiß wo, und ich wusste nicht, wann oder ob sie überhaupt zurückkommen würde. Wenn sie bis Mittwoch um Mitternacht nicht wieder da war, sollte ich ein verzaubertes Kästchen im Arbeitszimmer öffnen und ihm alle weiteren Anweisungen entnehmen. In der Zwischenzeit musste ich so klarkommen.
»O kay, also die Treize«, sagte ich, setzte mich und aß noch etwas von meinem Eis. »S ie wollen, dass wir ihren Zirkel vervollständigen, damit sie ihren supertollen Zauber anwenden können, der uns alle vor lauter Macht umhauen wird.«
»G ibt es so einen Spruch überhaupt?«, fragte Thais. »E inen, mit dessen Hilfe jeder von uns Macht dazugewinnen würde und diese dann einsetzen könnte für was auch immer er wollte?«
»I ch weiß es nicht. Schätze schon. Aber ich habe keine Ahnung,
Weitere Kostenlose Bücher