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Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Gewohnheiten seines Opfers kannte und ihm in der vergangenen Nacht gefolgt war.
    »Hat Kaibara gesagt, weshalb er hierhergekommen ist?« fragte Sano. »Und ist er zu einer bestimmten Zeit erschienen?«
    Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Er hat nie mit jemandem gesprochen. Er hat immer nur gelächelt und mit dem Kopf genickt. Und nie wußten wir, wann er kam. Manchmal haben wir ihn eine Zeitlang jeden Tag gesehen; dann wieder einen ganzen Monat nicht. Doch immer ist er irgendwann wiedergekommen.« Sie seufzte. »Aber damit ist es ja nun vorbei.«
    Sano erkannte, daß die noch ausstehende Überprüfung von Kaibaras Vergangenheit und seiner Lebensumstände wichtiger war, als er erwartet hatte. Er wandte sich dem Wachposten zu.
    »Nur ein paar Fragen, Udoguchi- san , dann könnt Ihr gehen«, sagte er und bemerkte, daß der Mann körperlich krank aussah: Sein Gesicht war wachsbleich, und seine Lippen bebten. »Wie und wann habt Ihr Kaibaras Kopf gefunden?«
    »Ich … ich war auf dem Nachhauseweg von meiner Wache.« Udoguchi sprach mit dünner, angespannter Stimme; es hörte sich an, als müßte er jedes Wort aus seiner Kehle quetschen. »Der Nebel lichtete sich. Ich schaute zum Himmel, und in diesem Augenblick sah ich irgend etwas …«, er schluckte schwer, »… auf dem Feuerwachturm. Ich bin hinaufgestiegen, um es mir genauer anzuschauen, und da habe ich … habe ich ihn gefunden.« Er fuhr sich mit der zitternden Rechten über den Mund; mit der Linken rieb er wieder über seine Kleidung.
    »Habt Ihr jemanden gesehen?« fragte Sano hoffnungsvoll.
    Der Wachposten schüttelte den Kopf, jedoch mehr aus Verwirrung denn als Verneinung auf Sanos Frage. »Ich glaube nicht. Ich … Ich hatte solche Angst, daß ich nicht einmal mehr weiß, wie ich die Leiter heruntergekommen bin. Ich kann mich nur daran erinnern, daß ich durch die Straßen rannte und um Hilfe schrie. Und dann kamen Leute aus ihren Häusern, um zu sehen, was passiert war.« Udoguchis Stimme wurde immer dünner und piepsiger. »Dann muß jemand die Polizei verständigt haben, denn ich weiß nur noch, daß auf einmal Polizisten da waren, die mir Fragen stellten und mich aufgefordert haben, ihnen zu zeigen, was ich gefunden hatte, nämlich den …« Er übergab sich.
    Als Sano beobachtete, wie Udoguchi schon wieder die Hände an seiner Kleidung rieb, wurde ihm klar, daß der Mann versuchte, den Makel des Todes abzuwischen, der dem bundori anhaftete – und zugleich gewissermaßen sein Entsetzen abzustreifen versuchte, das die Entdeckung der Trophäe bei ihm hervorgerufen hatte. Sano wandte sich an den Apotheker.
    »Bringt Udoguchi bitte Wasser, daß er sich waschen kann.«
    Sano wartete, während Udoguchi gurgelte; dann wusch er sich die Hände. Bald darauf kehrte die Farbe ins Gesicht des Wachpostens zurück, und er beruhigte sich.
    »Dann bin ich irgendwie hierhergekommen – wie, weiß ich nicht mehr – und sah die Leiche und das viele Blut«, fuhr Udoguchi fort, und seine Stimme klang jetzt ruhiger, war aber kaum mehr als ein Flüstern. »Ich habe der Polizei schon gesagt, daß ich nicht weiß, wer den Mann ermordet hat.«
    »Tja, aber ich weiß es.« Die alte Frau nickte überzeugt. »Es war ein Geist. Der unsichtbare Geist eines Samurai, der des Nachts auf Erden wandelt und glaubt, daß er immer noch in jener Schlacht kämpft, in der er gefallen ist.«
    »Sie hat recht«, erklärte Tarō. »Wer, außer einem Geist, kann einen Mord begehen und verschwinden, ohne ein Geräusch zu machen oder eine Spur zu hinterlassen? Und wer anders als ein Samurai aus den alten Zeiten würde seinem Feind den Kopf abhacken und eine Trophäe daraus machen?«
    Nachdenklich starrte Sano ins Leere. In der Tat waren neunundachtzig Jahre vergangen, seit die Familienklans, die sich in der Schlacht von Sekigahara bekriegt hatten, zum letztenmal die Köpfe der Feinde als Trophäen nahmen. Und die meisten Morde, die in Edo begangen wurden, geschahen in aller Öffentlichkeit, oftmals vor Augenzeugen; meist gab es reichlich Beweise; die Motive waren offenkundig, und die Schuldigen waren leicht zu identifizieren. Deshalb hatten diese ungebildeten, abergläubischen gemeinen Leute Zuflucht in dieser Geistergeschichte gesucht; denn sie bot ihnen eine Erklärung für etwas, das sie nicht begreifen konnten. Die Geschichte würde die leichtgläubigen Stadtbewohner in Panik versetzen und die Wahrscheinlichkeit, daß es zu Massenunruhen kam, weiter vergrößern. Udoguchis Erwiderung

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