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Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Stunden, die er selbst hier verbracht hatte. Als er sich den bewaffneten Posten am überdachten, reich verzierten Tor näherte, mußte Sano trotz der höflichen Begrüßungen an die hauptsächliche Aufgabe dieser Männer denken: dafür zu sorgen, daß keine yūjo aus dem abgeschlossenen, ummauerten Viertel entkam. Die meisten dieser Frauen waren von ihren verarmten Familie in die Prostitution verkauft worden, oder man hatte sie als Strafe für ein Vergehen nach Yoshiwara geschickt. Viele dieser Frauen, von grausamen Herren mißhandelt, versuchten durch die Tore zu fliehen, indem sie sich als Diener oder als junge Männer verkleideten.
    Sano schluckte seinen aufkeimenden Zorn hinunter, als er sich an die Torwächter wandte, die rücksichtslos dafür sorgten, daß die Frauen ihr schlimmes Schicksal erdulden mußten und nicht entkommen konnten.
    »Habt ihr gesehen, wie der Mann, der ermordet wurde, durchs Tor gekommen ist?« fragte Sano die Posten.
    »Wie hätten wir den übersehen können«, erwiderte einer der Wächter. »Er war so wütend, daß er uns beschimpft und gegen das Tor getreten hat.« Doch keiner der Männer wußte, warum der Mann Yoshiwara so früh verlassen hatte, und weshalb er so zornig gewesen war.
    »Ist ihm jemand gefolgt?« fragte Sano.
    »Nein. Er war der letzte, der durchs Tor kam, bevor es für die Nacht geschlossen wurde.«
    Als Sano sich bei den Wachen erkundigte, ob sie einen hochgewachsenen, hinkenden, pockennarbigen Samurai gesehen hätten, verneinten sie auch diese Frage. Sano erkannte, daß es vergeblich war, sich an einem so lärmenden und geschäftigen Ort, den so viele Männer in Verkleidung besuchten – darunter Mönche, Daimyō und hochrangige Beamte aus dem bakufu – , nach einer bestimmten Person zu erkundigen. Einige Männer verkleideten sich, um auf diese Weise das Gesetz zu umgehen, das den Samurai untersagte, das Vergnügungsviertel zu besuchen, wenngleich die Vorschriften dieses Gesetzes selten Anwendung fanden. Andere wählten die Verkleidung nur deshalb, um unerkannt zu bleiben. Insofern hätte eine verstohlene Gestalt in einem Umhang kaum Aufmerksamkeit erregt.
    Sano bedankte sich bei den Torwächtern und betrat die Naka-no-cho, die Hauptstraße des Viertels. Auch sie hatte sich in Sanos Augen zum Nachteil verändert. Die einst malerischen Holzgebäude sahen schmutzig und heruntergekommen aus. Die grellen Schilder, die vor Teehäusern, Geschäften, Eßlokalen und Bordellen hingen und Kunden herbeilocken sollten, konnten keine Vorfreude mehr erwecken, keine erwartungsvolle Erregung. Die leeren Gitterfenster der Freudenhäuser, hinter denen abends die yūjo saßen und Kunden anlockten, sahen weniger wie Schaukästen für weibliche Schönheit aus, sondern eher wie Käfige für gefangene Tiere. Die üppig blühenden, eingetopften Kirschbäume, welche die Straße zierten, erinnerten Sano nur an die Vergänglichkeit der Freuden und des Lebens.
    Überdies hatte der Mord einen düsteren Schatten über das Viertel geworfen. Die verängstigten, unruhigen Besucher drängten sich in Gruppen an der Straße und in den Teehäusern, und die gewohnte lärmende Fröhlichkeit war gedämpft. Mit verstohlenen Schritten eilten Diener umher, um ihre Aufgaben zu erledigen. Wachsam schritten die Samurai durchs Viertel, die Hände an den Schwertgriffen. Eine greifbare Aura der Furcht und der gegenseitigen Verdächtigungen lag in der Luft. Sano verspürte einen wachsenden inneren Druck, diesen Fall schnellstmöglich aufzuklären, bevor es an diesem Ort, an dem die Leidenschaften der Männer durch Alkohol und käufliche Frauen ohnehin angeheizt waren, zum Ausbruch von Gewalt kam.
    Das ›Himmlische Vergnügen‹ befand sich in einer Seitenstraße der Naka-no-cho. Es hatte den besten Ruf aller Freudenhäuser Yoshiwaras. Die hölzernen Fenstergitter, Wände und Säulen sahen frisch geputzt und sauber aus. Das Geländer der Veranda erstrahlte in scharlachroter Farbe. Über dem Eingang hingen Vorhänge in gleichem Farbton, in die das Wappen des Freudenhauses eingenäht war: ein weißer Blütenkranz. Als Sano und seine Begleiter das Gebäude erreichten, teilten sich die Vorhänge, und ein Mann in leuchtend bunter Seidenkleidung trat hervor.
    »Seid gegrüßt, sōsakan-sama «, sagte er und verbeugte sich. Der Mann war von unbestimmbarem Alter – zwischen vierzig und sechzig –; er besaß einen dicklichen, birnenförmigen Körper und einen runden Kopf. Sein geknotetes Haar war von grauen Strähnen

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