Die rätselhaften Worte
existierte, auf der alles, was geschieht, schon immer geschehen ist und immer geschehen wird, auf der ich wie ein Autor innehalten, nachdenken, korrigieren, verfeinern kann, bis meine Worte genau das sagen, was sie sagen sollen, und keine Spur meiner flüchtigen Gegenwart zeigen …
Für einen Augenblick unterbricht der AA -Mann seinen Redefluß, um bei laufendem Motor eine letzte Einstellung vorzunehmen. Er horcht mit der angespannten Aufmerksamkeit eines Klavierstimmers, lächelt, stellt den Motor ab und verkündet: »Ich würde sagen, damit kommen Sie nach Monte Carlo und zurück, wenn Sie wollen.« Ich erwidere: »Prima. Herzlichen Dank.« Er setzt sich auf die Brüstung und verstaut das Werkzeug in der Werkzeugkiste. Als er fertig ist, blickt er zur Sonne empor, seufzt in größter Zufriedenheit und sagt: »Kennen Sie das auch, wenn man das Gefühl hat, das ist es, so sollte es immer bleiben? Es muß nichts Großartiges sein, kein besonderer Anlaß oder so. Einfach ein Morgen wie heute, und man hat das Gefühl, hier könntest du für immer bleiben.«
»Ja«, versichere ich ihm. »Ich weiß genau, was Sie meinen.«
»Wäre doch nett, oder?« meint er wehmütig. »Aber das Leben hält uns auf Trab, da gibt es kein Erbarmen, fürchte ich.«
Und er schließt seinen Kasten und will aufstehen.
Und jetzt endlich kommt, über jeden Zweifel erhaben, das Zeichen.
Drunten bei den Weiden, die sich am anderen Ende der Brücke über das Flüßchen neigen, bellt etwas, ein Fuchs vermute ich, gefolgt von einem Kreischen, das ein heiseres Lachen hätte sein können, dann schießt aus dem Grün ein Fasan hervor, verzweifelt mit den Flügeln schlagend, um seinen schweren Körper über die Brücke und in die Lüfte zu erheben. Er nimmt gerade noch die gegenüberliegende Brüstung und kommt direkt auf uns zu. Ich mache einen Schritt zur Seite. Der AA -Mann weicht nach hinten aus. Seine Waden prallen gegen die niedrige Brüstung. Der Vogel fliegt zwischen uns hindurch, ich spüre seinen wütenden Flügelschlag wie einen Pfingststurm. Und der AA -Mann fuchtelt mit den Armen, als wolle auch er abheben. Aber er hat bereits unrettbar das Gleichgewicht verloren. Ich strecke der wankenden Gestalt meine Hand entgegen – um zu helfen oder zu stoßen, wer weiß? –, und meine Fingerspitzen streifen die seinen, wie die von Gott und Adam in der Sixtinischen Kapelle oder die von Gott und Luzifer auf den Zinnen des Himmels.
Dann ist er weg.
Ich blicke über die Brüstung. Er hat sich im Sturz überschlagen und ist mit dem Gesicht nach unten in dem flachen Flüßchen gelandet Es ist nur ein paar Zentimeter tief, aber er regt sich nicht
.
Ich klettere die steile Böschung hinunter. Es ist klar, was geschehen ist. Er ist mit dem Kopf im Flußbett auf einen Stein aufgeschlagen und wirkt benommen. Ich beobachte, wie er sich bewegt und versucht, den Kopf aus dem Wasser zu heben.
Ein Teil von mir will ihm helfen, aber dieser Teil hat keinerlei Kontrolle über meine Hände und Füße. Ich habe keine Wahl, als stehenzubleiben und zu beobachten. Die Freiheit der Wahl ist ein Geschöpf der Zeit, und die Zeit ist fort, ist anderswo.
Dreimal hebt sich sein Kopf ein wenig, dreimal sinkt er zurück.
Ein viertes Mal gibt es nicht.
Eine Weile steigen noch Blasen auf. Vielleicht nutzt er diese letzten Sekunden des Ausatmens, um wieder in den Schoß der katholischen Kirche zurückzukehren. Gewiß wird seine Lage niemals aussichtsloser sein. Andererseits erfüllt sich endlich sein Wunsch, einer dieser vollkommenen Augenblicke möge ewig währen, und wo immer er schließlich die letzte Ruhe findet, hat er zweifellos ein glückliches Grab.
Zunächst steigen die Blasen noch rasch auf, dann langsamer und langsamer, wie das letzte Rinnsal aus einer Ciderpresse, bis schließlich jene träge Luftblase zur Oberfläche schwebt, die, wenn man den Priestern glauben darf, die Seele enthält.
Lauf, mein Marathonbote, lauf.
Die Blase platzt.
Und auch die Zeit platzt wieder in mein Bewußtsein herein, mit all ihrem hinderlichen Gepäck, als da sind Geist und Materie, Vorschrift und Gesetz.
Ich kraxelte die Böschung wieder hinauf und stieg in mein Auto. Als ich wegfuhr, sang der Motor ein so fröhliches Lied, daß ich die geschickten Hände segnete, die ihn so fein gestimmt hatten. Und ich zollte auch Dank für dieses neue, oder besser gesagt, erneuerte Leben, das mir zuteil geworden war.
Meine Reise hatte begonnen. Ohne Zweifel würde mein Weg
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