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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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1.
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    Darek holte Luft und spuckte mit voller Kraft. Die Spucke landete auf Hugos Kinn und lief langsam an seinem Hals hinunter. Hugo wischte sie mit dem Arm ab.
    Â»Du bist tot!«, brüllte er.
    Â»Erst nach dir«, gab Darek zurück und sprang zur Seite, weil Hugo mit einem Knüppel in der Hand auf ihn losstürzte. Darek gelang es zwar, dem Schlag auszuweichen, aber Hugos Gewicht drückte ihn gegen die Friedhofsmauer. Sein Pullover zerriss beim Aufprall an einem scharfen, hervorspringenden Stein, der sich zwischen seine Schulterblätter bohrte. Darek zog zischend vor Schmerz die Luft ein und holte mit der Faust Richtung Hugos Kiefer aus. Bedauerlicherweise streifte er nur sein Ohr, weil Hugo im letzten Augenblick den Kopf weggedreht hatte.
    Â»Hahaha!« Hugo täuschte einen krampfhaften Lachanfall vor. »Es kitzelt, du Trottel!«
    Â»Ich werde dich noch mehr kitzeln, willst du?«
    Anstatt zu antworten, holte Hugo wieder mit seinem Knüppel aus. Darek versteckte den Kopf hinter den Armen. Unmittelbar darauf verspürte er einen heftigen Schlag am linken Unterarm. Der Schmerz schoss ihm bis in die Fingerspitzen. Intuitiv stieß er Hugo sein rechtes Knie in den Schritt. Hugos Beine gaben nach, er knickte in der Taille ein. Darek sprang zurück, blieb jedoch aufmerksam in Kampfstellung. Denn es hätte auch bloß ein Trick von Hugo sein können, um dann umso kräftiger loszuschlagen. Doch als ihm der Knüppel aus der Hand fiel und sein Gesicht sich zu einer schmerzhaften Grimasse verzog, ließ Dareks Anspannung nach. Er begriff, dass der heutige Kampf zu Ende war. Schnell sammelte er die herumliegenden Hefte und Lehrbücher auf, stopfte sie zurück in den Schulranzen und begann rückwärts auf der Mauer entlangzulaufen, den Blick stets auf Hugo geheftet.
    Â»Das hast du verdient, du Miststück!«, schrie er. Seine Stimme hörte sich unsicher, fast schuldbewusst an und das ärgerte ihn. Als ob nicht Hugo die Schlägerei provoziert hätte!
    Â»Leck mich«, murmelte Hugo schwach durch die zusammengebissenen Zähne.
    Â»Ich hab dir doch gesagt, du sollst meine Schwester in Ruhe lassen! Wenn du sie noch ein Mal anfasst, tret ich dir mit Anlauf in die Eier! Das nächste Mal richte ich dich so zu, dass du da drüben landest.«
    Er deutete zum Friedhof, wo sich die Gräberlandschaft erstreckte, die jetzt, im Frühjahr, mit frischen Blumen geschmückt war. Einen der Blumensträuße hatten Darek und Ema vor zwei Tagen dort hingebracht. Ema hatte die gelben Tulpen mit Glitzerband umwickelt und noch eine große Schleife daraus gebunden. Darek gefiel diese grelle Dekoration nicht und er vermutete, dass sie auch der Mutter nicht gefiel, aber das war letztendlich egal.
    Â»Verpiss dich, Arschgesicht!«, ertönte Hugos nicht mehr so geschwächte Stimme. Darek legte einen Schritt zu. Er kannte die Verbissenheit und die sich schnell wieder aufladenden Batterien von Hugo nur zu gut. Einmal, als sie sich hinter der Eisenbahnstrecke geprügelt hatten, war Hugo im Finale, kurz vor Dareks Sieg, mit solcher Wucht auf ihn gesprungen, dass sie beide auf den Kies des Bahndamms rollten. Hugo brach sich dabei den kleinen Finger und Dareks Handy war platt gedrückt.
    Nein, nach einer weiteren Kampfrunde sehnte er sich definitiv nicht. Außerdem war es höchste Zeit, Ema abzuholen. In ein paar Minuten würde sie vor der Schule stehen, den Hals recken und abwechselnd nach rechts und links schauen – wie ein Huhn, das nach Körnern Ausschau hält. Sie war Hugo und anderen Kindern eine Quelle unerschöpflicher Belustigung. »Put … put … put … put!«, riefen sie ihr zu und äfften ihre ruckartigen Bewegungen nach. »Sieh da, ein Regenwurm, pick ihn, schnell!«
    Jedes Mal, wenn Darek das Hohngelächter hörte, stritten zwei Gefühle in ihm. Mach sie platt! Vermöbel sie! Polier ihnen die Fresse!, empfahl die erste wilde Regung. Das andere Gefühl kam langsamer. Es bestand aus Müdigkeit und Missmut und enthielt auch Zorn auf Ema. Als ob sie nicht imstande wäre, einfach ruhig dort zu stehen und auf ihn zu warten! Oder den Weg nach Hause allein zu meistern! Als Darek acht Jahre alt war, ging er überall allein hin und niemand wunderte sich darüber. Doch Ema war nicht wie er, sie ähnelte keinem Menschen, den er kannte. Sie war anders und er musste sich damit abfinden. Er musste

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