Flucht aus Korum
1.
»Oh, diese dreimal verfluchte Hexe! Wenn ich sie zu fassen bekomme, werde ich…« Das schrille Gezeter brach ab, als die Gondel des Zugvogels heftig zu schwanken begann.
Dunkelheit war hereingebrochen. Der Trauernebel zeigte sich von seiner ärgsten Seite. Eine dichte Wolkenbank hüllte das Luftschiff ein und machte es unmöglich zu erkennen, ob man weiter nach Süden flog oder vielleicht der Schattenzone entgegen.
Plötzlich war alles in einem unbegreiflichen Wirbel gefangen. Die Welt schien kopfzustehen.
»Nein!« kreischte Gerrek. »Ich will raus hier!«
Ganz im Widerspruch zu seinen Worten klammerte er sich an den Hohlknochen fest, die das Gerippe der Gondel bildeten. Er sah Ramoa stürzen und verzweifelt nach einem Halt suchen. Aber die Frau interessierte ihn in diesem Augenblick herzlich wenig.
Eine erneute Bö ließ das Luftschiff nach der anderen Seite ausbrechen. Gerrek hing mit einemmal nicht mehr mit den Füßen nach unten sondern fand sich im Handstand wieder.
Stumm vor Entsetzen krachte er gegen die Wandung, die seinem Gewicht nicht standhielt und aufriß.
Gerreks Glubschaugen weiteten sich in jähem Erschrecken, als eine eisige Kälte an seinen Beinen hochstieg. Er schlotterte. Verzweifelt begann er zu strampeln, rutschte dadurch aber nur weiter ab.
»Halte dich fest, Gerrek« Das war Vinas Stimme.
Doch der Beuteldrache trat heftiger um sich.
»Weg!« schrie er. »Weg von mir! Ich will sogar eine Frau werden, wenn es sein muß – aber bitte, laß mir jetzt Flügel wachsen.«
Unvermittelt löste er eine Hand von dem Knochen und raufte sich seinen verknitterten Ziegenbart.
»Huhhh, mir ist so kalt«, jammerte er. »Ich erfriere.«
Der Hexe schwante Schlimmes. »Untersteh dich, Feuer zu machen«, rief sie.
Wieder wurde der Zugvogel herumgewirbelt. Eine warme Luftströmung erfaßte den Ballon und trug ihn höher empor zwischen die Wolken. Von irgendwoher kam ein fahles rötliches Leuchten, als brenne der Himmel.
Zwei kleine Rauchwolken ringelten sich aus Gerreks Nüstern.
»Hör sofort auf damit«, schrie Vina, »oder ich werde dafür sorgen, daß du dich in eine Fledermaus verwandelst.«
Der Mandaler erschrak ob dieser fürchterlichen Drohung. Das Dasein als Beuteldrache erschien ihm da weitaus angenehmer.
All seine guten Vorsätze wurden jedoch schlagartig zunichte, als ein dröhnender Donnerschlag ihn vorübergehend taub werden ließ. Grell aufflammende Helligkeit blendete ihn. Das Luftschiff schien in Flammen zu stehen. Ein seltsames Prickeln durchflutete seinen Körper und trieb ihm abwechselnd heißen und kalten Schweiß auf die Stirn.
Der Hohlknochen, der einzige wirkliche Halt, den er besaß, schien sich aus seiner Hand zu winden.
Gerrek schnaubte. Sein eigener Rauch brannte ihm in den Augen.
Daß er die falsche Hand nahm, um über seine Nickhäute zu wischen, fiel ihm erst auf, als er in die Tiefe stürzte.
Die Drachenhaut riß weiter auf. Gerrek war wie gelähmt, unfähig zu begreifen, daß er selbst seine mißliche Lage verschuldet hatte.
Aber zwei starke Arme packten ihn und bewahrten ihn davor, beim Aufprall auf das Wasser entweder zerschmettert zu werden oder jämmerlich zu ertrinken.
Dann mußte er irgendwie die Besinnung verloren haben. Als er wieder zu sich kam, schien der tobende Sturm eher noch schlimmer geworden zu sein. Gerreks Gesicht brannte, als habe er sich beim Flammenspucken nicht nur die Barthaare sondern auch die Haut versengt. Aber das lag wohl daran, daß Honga ihn mit der flachen Hand schlug.
»Aufhören!« wollte der Mandaler schreien. Es wurde aber nur ein jämmerliches Krächzen daraus. Erst allmählich begriff er, daß Honga wahrscheinlich sein Leben gerettet hatte.
»Danke«, murmelte Gerrek und bewegte seine Ohren dabei. »Wir Männer müssen zusammenhalten. Wie anders können wir in einer Welt voll Weibern und Hexen bestehen.«
Gerrek fühlte ein drängendes Würgen, das von seinem Magen aus hochstieg. Noch immer schien alles um ihn herum in wirbelnder Bewegung begriffen. Mühsam versuchte er, wieder auf die Beine zu kommen.
»Du siehst blaß aus und mitgenommen«, sagte Honga spöttisch. »Bleib liegen, bis wir den Sturm hinter uns haben.«
Aber der Beuteldrache wußte selbst am besten, was ihm abträglich war und was nicht. Die Kälte jedenfalls war schlimmer als das Schwindelgefühl, das seine Sinne verwirrte. Tolpatschig tappte er zu den Fellen, die Vina in einer Ecke des Zugvogels aufbewahrte.
Indes sollte er sie nicht
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