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Die Rastlosen (German Edition)

Die Rastlosen (German Edition)

Titel: Die Rastlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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hätte.
    Sehr bald lief ein Rinnsal von eiskaltem Schweiß zwischen seinen Schulterblättern hinunter. Er rauchte einfach zu viel. Er würde sich ernsthaft mit diesem Problem auseinandersetzen müssen, daran bestand kein Zweifel mehr. Seine Lunge brannte. Seine Waden brannten. Wenn er noch ein paar Jahre so weitermachte, würde er mit hängender Zunge und auf Knien über den Boden schleifen.
    Wie auch immer, kaum hatte er sein Ziel erreicht, die Leiche der Studentin abgeworfen und sich mit gespitzten Ohren versichert, dass ihn niemand beobachtet hatte, zündete er sich eine an. In den Niederungen des Lebens waren Winstons seine engsten Verbündeten. Zusammen mit der kühlen Luft, die nach Schnee und frischem Gras duftete, reichte es schon fast zur Glückseligkeit. Mit dem Anflug eines Lächelns betrachtete er die aufleuchtende Glut. Um ihn herum herrschte nun so tiefe Stille, dass er das leise Knistern des verbrennenden Tabaks hörte. Im Winter war die Stille der Wälder auf den Hügeln phantastisch, sie erfüllte alles ringsumher.
    Obwohl er gute Wanderschuhe von Galibier trug, waren seine Socken ebenso durchnässt wie der untere Teil seiner Hosenbeine, die ursprünglich hellbeige und nun dunkelbraun waren. Überhaupt hatte seine Kleidung während des Aufstiegs ziemlich gelitten – zweimal war er auf einer Eisplatte ausgerutscht, und er hatte sich mit seiner schweren Last zwischen Steinblöcken und tiefhängenden Ästen durch Wegengen zwängen müssen. Aber er hatte keine Zeit mehr, nach Hause zu fahren und sich umzuziehen. Wie hatte er nur so dumm sein können. Er hätte sich denken müssen, dass er es nicht schaffen würde, mit dem Mädchen auf dem Buckel da hochzusteigen und weiß und unbefleckt wie eine knospende Lilie wieder runterzukommen. Plötzlich sah er sich wieder in Shorts, fast noch ein Kind, voller Staub und getrockneter Erde. Sich und Marianne. Direkt in die Badewanne verfrachtet. Brutal abgeschrubbt von dieser schrecklichen Frau.
    *
     
    Barbara. Zwei Tage danach, die Ereignisse begannen bereits ihren Lauf zu nehmen, war ihm der Name wieder eingefallen. Barbara. Diesen vollkommen albernen Vornamen hatte er so schnell wie möglich verdrängt, denn er wurde der Studentin nicht gerecht, die sich in seinem Kurs schon früh als ziemlich begabt erwiesen hatte und nicht allzu schlecht schrieb. Er hatte sie sofort bemerkt. Sie war blond, wirkte brav und schüchtern, eine von der Sorte – aber ihr Herz loderte wie eine Handvoll glühender Kohlen. Er stand auf und warf einen Blick aus seinem Bürofenster. Die Erinnerung an Barbara rührte ihn. Es gab nur wenige Studenten, aus denen man etwas herausholen konnte, die Anlass zu Hoffnung gaben. In all diesen Jahren hatte er scharenweise Studenten vorüberziehen sehen, aber die, die zu einer substanziellen Arbeit fähig waren, konnte man an den Fingern einer Hand abzählen. Man musste mit einem Minimum an Genius gesegnet sein. Man hatte es, oder man hatte es nicht. Er selbst hatte es nicht. Um ein Haar wäre er in den ersehnten Hafen eingelaufen, hätte das gelobte Land erreicht. Aber wer nicht von vornherein ein Mindestmaß an Genius besaß, brauchte sich gar nicht abzumühen – in der ersten Rede, die er gewöhnlich zu Semesteranfang hielt, warnte er vor übermäßigem Optimismus und allzu großem Selbstbewusstsein, denn nur wenige Auserwählte gelangten ans Ziel. Selbst an die zweite Garde war schwer heranzukommen. Selbst gute Drehbuchautoren waren selten. In gut fünfzehn Jahren war er nur zwei oder drei Auserwählten begegnet, zwei oder drei, die dazugehörten und seine Kurse erleuchtet hatten. Sandkörner in der Wüste. Da das so selten vorkam, versetzte es einen in ehrfürchtiges Erstaunen – wenn man im Unterricht auf solch ein Kleinod stieß.
    Er sah dem Polizeibeamten nach, der ihm gerade seinen Ausweis zurückgegeben hatte und nun den Parkplatz für ordentliche Professoren und motorisch Behinderte überquerte. Die Versuchung war groß gewesen. Ganz kurz war er versucht gewesen, die Wahrheit zu sagen, zu bekennen, dass sie das Fest gemeinsam verlassen hatten und in seinem Bett gelandet waren. Aber er hatte sich rechtzeitig zusammengenommen. Die ungeschminkte Wahrheit hätte niemandem weitergeholfen.
    Die Bäume begannen auszuschlagen. Der Polizist vollzog auf dem Parkplatz ein hektisches und geräuschvolles Wendemanöver und fuhr mit achtzig über den Campus davon. Nicht dass ihre kurze Begegnung ihn verärgert hätte – im Gegenteil, sie hatten sich

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