Die Rastlosen (German Edition)
Das konnte er auch mit dreiundfünfzig noch – an einem herrlichen, in weißes Mondlicht getauchten Winterabend, drei Flaschen eines besonders starken chilenischen Rotweins im Blut, mit Vollgas die Bergstraße hinaufrasen.
Er fuhr einen Fiat 500 mit einem müden Motor, der jedoch sicherlich stark genug gewesen wäre, ihn in den Abgrund zu schleudern – aber er hielt das Steuer mit fester Hand umschlossen und hatte die Augen weit geöffnet.
Durch das heruntergekurbelte Fenster drang eiskalte Luft herein. In jeder Haarnadelkurve jaulten die Reifen. Es gab genug Dummköpfe, die im Laufe der Jahre auf dieser Straße in den Tod gefahren waren, er aber trotzte ihr weiterhin.
Noch nie hatte er sich dazu durchringen können, über Nacht in der Stadt zu bleiben, niemals – ganz egal was er gemacht oder getrunken oder genommen hatte. Niemand hatte ihn je davon abhalten können, sein Auto zu nehmen und nach Hause zu fahren. Nicht diese Straße jedenfalls, nicht diese verdammte Straße.
Auf dem Beifahrersitz saß eine junge Frau, auch sie offensichtlich betrunken. Er warf einen Blick auf sie und konnte es wieder nicht fassen, dass einem alten Prof wie ihm, mit abgetragenem Sakko und einem so winzigen Auto noch das Glück beschert war, eine Studentin in seinen Bau zu schleppen, um sich mindestens bis zum Morgengrauen an ihr zu erfreuen.
Schon vor vielen Jahren war ihm klar geworden, dass für ihn der Zeitpunkt gekommen war, bestimmte berufsbedingte Vorteile zu nutzen – mangels anderer Formen der Anerkennung, auf die er sich besser keine Hoffnungen mehr machte.
Eines schönen Morgens war eine seiner Studentinnen von einem seltsamen Phänomen erfasst worden und hatte zu leuchten begonnen – von innen heraus, wie eine Laterne, ein wunderbares Schimmern –, eine junge Frau, die eigentlich nichtssagend und außerordentlich langweilig war, noch dazu komplett unfähig, auch nur eine gerade Zeile zu schreiben. Aber als er dann recht boshaft eine ihrer Arbeiten zerpflückte, überkam ihn plötzlich ein glühend heißer Hauch, der ihn blendete und verblüffte. Diese Studentin war die erste in einer ziemlich langen Reihe von Sexgespielinnen gewesen und eine der angenehmsten Liebhaberinnen seines Lebens überhaupt.
Sex mit vielen Studentinnen zu haben war letztlich keine Qual und auch kein allzu schwacher Trost. Es gab Typen, die sich und andere für weniger in die Luft sprengten.
Die Studentin, die ihn an diesem Abend begleitete und deren Name ihm entfallen war, hatte sich gerade erst in seinem Creative-Writing-Kurs angemeldet. Er hatte nicht eine Sekunde lang versucht, sich gegen die Anziehung zu wehren, die sie auf ihn ausübte – über alle Maßen auf ihn ausübte. Warum auch? Ein eiskaltes Wochenende stand bevor, wie geschaffen für Kaminfeuer und ein paar schöne Stunden. Ihre Schmolllippen. Die drallen Hüften. Blieb nur zu hoffen, dass sie zu gegebener Zeit einsatzfähig wäre.
Sie schien kaum noch bei Bewusstsein. Nur der Gurt verhinderte, dass sie auf die eine oder andere Seite kippte. Zu Hause würde er erst mal Kaffee machen müssen.
Der Straßenrand war weiß, das Unterholz tiefschwarz. Er schlingerte über die Fahrbahn, folgte mit zusammengebissenen Zähnen dem weißen Mittelstreifen, der sich unter seinen Augen wand wie eine hungrige Schlange im roten Mondlicht.
Sie war dreiundzwanzig. Am frühen Morgen bemerkte er, dass sie leblos war – und kalt.
Nachdem der erste Schreck verflogen war, warf er mit einem Ruck die Decke zurück, sprang aus dem Bett und ging zur Tür, horchte. Im Haus war alles ruhig. Er lauschte angestrengt. Dann wandte er sich wieder dem Bett zu und betrachtete die Leiche des Mädchens. Zum Glück war kein Blut zu sehen. Immerhin. Im hellen Licht, das ins Schlafzimmer fiel, wirkte sie absolut unversehrt, milchweiß und glatt.
Kurz entschlossen zog er sich an. Er erinnerte sich, dass er sie den Weg vom Auto ins Bett fast hatte tragen müssen – sie war so munter gewesen wie ein Sack Kartoffeln und schien kurz davor, sich zu übergeben. Aber als sie sein Zimmer erreicht hatten, war sie auf einmal aufgewacht. Erfreut, da zu sein, bei ihm – endlich bei ihm. Hatte sich ihre Kleidung vom Leib gerissen, ihren Slip durchs Zimmer geschleudert. Er hatte keine Ahnung, was danach passiert war, aber eins war sicher: Sie hatten es getan. Daran bestand kein Zweifel.
Von diesen Studentinnen war eine umwerfender als die andere – und diese hier, die man trotz der etwas kurzen
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