Die Rastlosen (German Edition)
Nur zu.«
»Es wird gut werden, glauben Sie mir. Bleiben Sie einfach cool. Ich werde Ihnen keinen Heiratsantrag machen. Entspannen Sie sich. Das einzige Risiko besteht darin, dass es Ihnen gefallen könnte. Wenn ich ganz ehrlich sein darf.«
Sie wollte wirklich ein Abenteuer mit ihm. Sie verfolgte immer noch dieses eine Ziel, und das mit einer Beharrlichkeit, die Respekt verdiente, so als hätte man sie verhext. Dieses Mädchen war sagenhaft. Sie würde nicht lockerlassen. Anscheinend lag das in der Familie. Nicht gerne auf etwas zu verzichten.
Jeder Abend in der kommenden Woche sei ihm recht.
»Okay, sagen wir Mittwoch. Dann ist meine Regel vorbei.«
»Mittwoch passt wunderbar.«
»Ich kann es kaum erwarten, Sie zu sehen, Marc.«
»Wir können uns ja einfach in meinem Büro treffen. Sie helfen mir, Kopien zu ordnen oder irgendsowas. Ich kümmere mich um die Kondome.«
»Seien Sie doch nicht so unromantisch. Denken Sie an den armen Zuckerman, was würde der dafür geben, um an Ihrer Stelle zu sein. Sie sollten ab und zu auf den Boden der Tatsachen zurückkehren.«
»Bei diesen detaillierten Beschreibungen der Inkontinenz läuft es einem kalt den Rücken herunter, da muss ich Ihnen recht geben, aber haben Sie bemerkt, wie scharf die Beobachtungsgabe dieses Autors ist, wie souverän er seinen Plot entwickelt, wie aufmerksam er zuhört? Habe ich Ihnen zu viel versprochen? Manchmal denke ich, wir sollten nur noch Lyrik lesen. Hatten Sie Gelegenheit, sich mit Frederick Seidel zu befassen? Umwerfend, oder? Da hat es Ihnen vermutlich die Sprache verschlagen.«
Er legte auf. Gerade als die Dämmerung hereinbrach, die gleich einem purpurroten Samtschleier nahe dem lodernden Horizont entrollt wurde, kamen drei Männer mit frisch gewetzten Messern aus der Küchentür und hielten direkt auf den Transporter mit dem Hirsch zu.
Sie gingen geschickt vor, in ein paar Minuten war alles erledigt. Diese Jungs kannten sich aus. Jeder trug feiste Stücke davon, Keulen, kiloweise Koteletts, Schmorfleisch, und das zum günstigsten nur denkbaren Preis. Sie hatten nur den Kopf übriggelassen, und der schien nun, gegen die Wagenwand gelehnt, ihn anzusehen.
Er ging für einen Augenblick nach draußen – nur um ihn mit einem weißen Hotelbademantel zuzudecken, dann war er wieder drin.
Er setzte sich wieder neben Myriam. Es war eine schreckliche, eine schwierige Entscheidung gewesen. Verliebt sein reichte nicht mehr, verliebt sein war nicht mehr das Wichtigste. Ergriffen von seinen Gefühlen für sie nahm er ihre Hand und hielt sie an seine Lippen, er war durcheinander, fühlte sich aber ohnmächtig und nicht in der Lage, gegen sich selbst anzukämpfen. Er hatte sich unsagbar dumm verhalten, und kein Mensch konnte etwas dafür, kein Mensch konnte einen solchen Dummkopf retten.
Auf Momente der Beklemmung folgten Momente der Befreiung. Er erhob sich erneut. Diesmal schien der Weg, der vor ihm lag, deutlich schwieriger, deutlich länger, deutlich gefährlicher. Er ging zum Herd und drehte das Gas auf. Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich mit seinem Stift und seinem Notizbuch an den Tisch. Das Gas zischte jetzt leise und beständig. Er schrieb: »Meine liebe Marianne«, dann hielt er inne und saß endlose Minuten wie versteinert da. Die Dinge begannen sich in Zeitlupe dahinzuschleppen.
Auf einmal saßen sie nicht mehr im selben Boot. Auf einmal war nicht mehr die Rede davon, bis zum Ende zusammenzubleiben und bis in alle Ewigkeit füreinander da zu sein, plötzlich wurde überhaupt nicht mehr geredet. »Meine liebe Marianne…« Es war keine leichte Aufgabe.
Er dachte wieder an den Bruder, der ihm missgönnt gewesen war und der sicherlich verhindert hätte, dass es so weit kommen musste – damit angefangen, dass ihre Mutter nicht verrückt geworden wäre. Draußen auf dem Parkplatz, weniger als hundert Meter von ihm entfernt, bildete der Bademantel einen diffus schimmernden Fleck in der Dunkelheit. Selbst wenn man nicht abergläubisch war, konnte man darin kein gutes Vorzeichen sehen. Einen Hirsch anzufahren verhieß nichts Gutes. Ganz im Gegenteil. Ganz im Gegenteil.
Von innen betrachtet schob er sich eine Zigarette zwischen die Lippen und griff nach seinem Feuerzeug.
Von außen betrachtet explodierte der Bungalow wie ein leuchtender Kürbis, der die Umgebung mit seinem goldenen Licht überflutete.
Foto: © Jacques Sassier/Copyright © Gallimard
PHILIPPE DJIAN, geboren 1949 in Paris, wechselte oft den Wohnsitz.
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