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Die Ratten im Maeuseberg

Die Ratten im Maeuseberg

Titel: Die Ratten im Maeuseberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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du
Moulin-de-la-Vierge ein. An der Kreuzung Rue de l’Ouest fand ich weder Mühle
noch Jungfrau, dafür aber einen safrangelben Zwerg, der wohl von Osten kam. Er
trat gerade aus dem Bistro, in das mich meine berufliche Pflicht rief. Auf
leisen Filzsohlen verschwand der Zwerg so unauffällig wie möglich in der Nacht,
Richtung Rue Raymond-Losserand, ehemals Rue de Vanves.
    Ich trat in das gelbe Licht des
Bistros. Hier drinnen herrschte dieselbe drückende, beinahe unwirkliche Stille
wie draußen. Man hätte meinen können, man befinde sich in einem dieser
englischen Clubs. Dort soll unbedingtes Stillschweigen herrschen, hab ich
gehört. Und etwa so sah das hier im Moment auch aus, allerdings dreckiger und
leerer.
    Die niedrige Decke war so gut
eingeraucht wie meine Pfeife. Die Werbeplakate an den Wänden hatten durch das
schändliche Tun der Fliegen arg gelitten.
    Auf dem rissigen Zink der Theke
hatten die Gläser ihre bläulichen runden Ringe hinterlassen. Ein kräftiger
Bursche im Unterhemd und mit melancholischem Blick — wahrscheinlich der Chef
dieses Luxusschuppens — spülte träge die Gläser im Schweiße seines Angesichts,
der in die trübe Brühe des Spülbeckens tropfte.
    Auf der zahlenden Thekenseite
stand ein einziger Gast, der genauso schlecht gekleidet war wie ich. Prüfte
grade einen Wein von ungeprüfter Herkunft. Der einsame Zecher warf mir einen
flüchtigen, gleichgültigen Blick zu, um sich dann wieder seiner
Lieblingsbeschäftigung zu widmen. Duch seine Kehle war schon so einiges
geflossen.
    Als Gentleman, der weiß, was
sich gehört, warf ich ein fröhliches „Sieudam“ in die Runde. Weder der
Wassermolch noch sein Gast erwiderten meinen Gruß. War auch wirklich zu heiß,
um wertvolle Energie sinnlos zu vergeuden.
    Trink und halt die Klappe, das
war hier wohl die Devise.
    Das einzig wahrnehmbare
Geräusch in diesem allgemeinen Stillschweigen — abgesehen von der Spülerei in
der trüben Brühe — drang aus dem Hinterzimmer, durch eine Lamellentür: das
Aneinanderstoßen von Billardkugeln. Die Spieler hatten nicht das Bedürfnis, die
Stöße zu kommentieren.
    Ich lehnte mich an die Theke.
Der unterhemdsärmlige Wirt unterbrach das Gläserspülen. Zu meiner großen
Überraschung kriegte er sogar die gelben Zähne auseinander.
    „Ja bitteschön?“
    „Ein Kleines.“
    „Gibt nur kleine Flaschen.“
    „Dann ‘ne kleine Flasche“,
echote ich und nickte bekräftigend.
    Der träge Kraftprotz seufzte tief,
holte ein dickes Fläschchen aus dem Kühlschrank, öffnete es gekonnt, schnappte
sich eins von den Gläsern, die grade trockneten, und stellte den ganzen Kram
vor mich hin. Dann machte er sich schweigend wieder an seine Taucherei. Ein
weiterer Seufzer war fällig. Seinen hundert Kilo Lebendgewicht machten die 28
Grad auf dem Martini-Thermometer offensichtlich zu schaffen.
    Ich goß mein Glas voll und
leerte es halb. Das Bier war keine Sensation, ließ sich aber trinken und war
vor allem kalt.
    Ich wartete darauf, daß jemand
seine Meinung über die Affenhitze äußerte. Nichts. Nur die Elfenbeinkugeln
nebenan stießen gegeneinander. Ich holte meine Pfeife raus, stopfte sie in
aller Ruhe und zündete sie an. Danach fragte ich den Wirt nach dem kürzesten
Weg zum stillen Örtchen und ging ins Hinterzimmer. Alles in aller Ruhe.
    Der fensterlose Billardraum war
ziemlich groß. Mit seinen zwei Billardtischen stellte er ‘n verdammten Luxus
für diese schäbige Kneipe dar. Beide Tische waren besetzt. An dem einen
spielten zwei Arbeiter, an dem anderen übte ein einsamer Spieler schwierige
Stöße. Wie Schatten schlichen sie um die schweren Tische herum. Die einzigen
Lichtquellen waren die grellen Lampen direkt über dem grünen Tuch. Die Kugeln
glänzten und drehten sich wie Mannequins bei der Modenschau.
    Einen Augenblick sah ich den
beiden Spielern am ersten Tisch zu, dann ging ich zu dem Solisten. Ein langer
Kerl, kantig, mit einem Riesenzinken zwischen den hervorspringenden
Backenknochen. Bei der Nase brauchte er gar kein
Queue! Die Backenknochen erinnerten an Simone Signoret. Aber das war auch schon
das Ende der Ähnlichkeiten. Gekrönt wurde das Ganze von einem dichten schwarzen
Haarschopf. Vierzig Jahre und keinen eigenen Zahn mehr im Maul, wenn mich mein
Gedächtnis nicht im Stich ließ. Hatte sich nacheinander alle ziehen lassen, um
die Renovierungsarbeiten nicht zu behindern.
    Seine helle Jacke hing über
einem Stuhl. Das weiße Hemd mit den hochgekrempelten Ärmeln hatte noch nie

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