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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Gibiec
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die Finnen aus. »Ein nordisches
Bauernvolk, keine Mitteleuropäer, die stecken sowieso bis zum
Kragen im Permafrost, und die Sprache, du lieber Himmel, da ist
doch keine Kultur drin, keine Eleganz, wie zum Beispiel bei den
Franzosen, ganz zu schweigen von dem ekelhaften Fisch.«
    Nichts schmerzte Pekka so sehr wie
dieses Gerede, und er hielt dagegen mit Vorträgen über die reiche
finnische Kultur, die sich trotz der Unterdrückung durch Schweden
und Russland behauptet habe, und über die Schönheit Lapplands, das
er als junger Mann häufig bereist hatte. Unzählige Geschichten
hatte er immer wieder aus seiner Heimat erzählt. Und trotzdem,
dachte Anna, während sie den schlafenden Mann betrachtete, hatte
sie sich sein dortiges Leben nie vorstellen können. Sie wusste,
dass er eine Schwester namens Minna hatte, dass seine Mutter früh
gestorben und sein Vater ein harter Mensch gewesen war, dass er aus
der Textilstadt Tampere in Mittelfinnland stammte und eine Zeit
lang in Helsinki in Soderbergs Pelzhandlung gearbeitet hatte. Aber
wie er gelebt hatte, warum er weggegangen und nie wieder
zurückgekehrt war, hatte sie nie herausbekommen. Sein Blick
verschloss sich, wenn die Rede darauf kam, todtraurig wandte er
sich ab, versteinerte und war für niemanden erreichbar, auch nicht
für Anna, die sonst die Einzige war, die zu ihm vordrang, wenn er
in seinen Depressionen steckte. Manchmal sprach sie mit Louise
darüber, dass niemand hinter dem strahlenden Pekka eine so dunkle
Seite vermuten würde. »Ja, ja«, sagte Louise dann, »warum soll er
eine Ausnahme machen. Wir wissen es doch, wo viel Licht ist, da ist
auch viel Schatten.«
    *
    Anna beschloss, mit der Schwebebahn
zum Landgericht zu fahren und einen Spaziergang über die Hardt zu
machen, um über die verfahrene Situation nachzudenken. Sie sagte
Louise Bescheid und versprach, gegen vier,
wenn im Laden der Betrieb zunahm, zurück zu sein.
    Das sonnige Wetter lockte die
Elberfelder in Scharen hinaus, auf dem Wall und der Poststraße war
fast kein Durchkommen. Die in den Bahnhof Döppersberg einfahrende
Schwebebahn war ebenfalls von dichten Menschentrauben umlagert, und
Anna war froh, dass sie noch einen Stehplatz in der Nähe der Tür
bekam und am Landgericht wieder aus dem schaukelnden Wagen springen
konnte. Vor ihr ging eine kleine, dunkelhaarige Frau, die ihr
bekannt vorkam, die Holztreppe der Schwebebahnstation
hinunter.
    »Lina, Lina Pasche, das ist aber
eine Überraschung, bist du es wirklich?«
    Die Frau sah Anna einen Augenblick
verständnislos an, dann lächelte sie. »Anna, ist das zu glauben.
Ich hätte dich kaum erkannt, wir haben uns ewig nicht
gesehen.«
    Lina war die Nichte von Elias
Schlipköter und hatte bei Salander als Verkäuferin gearbeitet.
Elias' Schwester Ruth Pasche war früh verwitwet und hatte nur eine
winzige Rente, deshalb musste Lina zum Familieneinkommen beitragen.
Als sie siebzehn war, empfahl Elias sie als Verkäuferin, und sie
blieb drei Jahre. Anna war sehr traurig gewesen, als sie vor sieben
Jahren plötzlich gekündigt hatte mit der Begründung, nach Köln zu
wollen, um etwas anderes kennen zu lernen.
    Anna hatte die zehn Jahre ältere
Lina immer gemocht und ihr gern geholfen, die Pelze wegzuhängen und
die Spitzen, Zierkordeln und Bänder ordentlich auf große Pappkarten
und Rollen aufzuwickeln und in den Regalen zu verstauen. Manchmal
durfte sie sie sogar an dem Metermaß auf dem großen Verkaufstisch
im Laden abmessen und für die Kunden abschneiden, was ihr Louise,
die zusammen mit Lina den Verkauf machte, niemals erlaubt hätte.
Sie hatten viel zusammen gelacht, und Anna hatte sich immer
gewünscht, später einmal so auszusehen wie Lina mit ihrer
Porzellanhaut, dem zarten, dunklen Flaum auf der Oberlippe und den
braunen Locken, die ihr helles Gesicht und ihre strahlend blauen
Augen umrahmten. Am meisten liebte Anna Linas Art zu sprechen, ihre Stimme perlte sanft, die Worte glitten
leicht aus ihrem aufgeworfenen Mund, und man konnte denken, eine
Feder schwebe vor ihren Lippen.
    »Wie schön, dich zu sehen.« Anna
nahm Linas Arm. »Ich wollte einen Spaziergang auf der Hardt machen,
komm, begleite mich ein Stück und erzähle, wie es dir ergangen
ist.«
    Obwohl sie den Eindruck hatte, dass
Lina zögerte, zog Anna sie beherzt mit sich. »Komm, ein Stündchen,
ich bin so froh, wenn ich in diesem Elberfeld eine vernünftige
Menschenseele treffe, bei mir zu Hause sind alle irgendwie
durchgedreht.«
    Lina sagte nichts und blickte

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